Drei Fragen zur neuen Handreichung von kiez:story: Multidirektionale politische Bildung in Zeiten von Flucht und Krieg
22. November 2022 | Geschichte, Biografien und Erinnerung, Jugendkulturen und Soziale Medien

Bild: kiez:story

Durch die Beschäftigung mit der eigenen (Familien-)Biografie lernen Jugendliche Geschichte aus Perspektiven kennen, die im gewöhnlichen Unterricht wenig Raum finden. Das ist der Ansatz unseres Projektes „kiez:story – ich sehe was, was du nicht siehst“. Im Kurzinterview stellt Projektleiter Pierre Asisi nun die erste Publikation vor.

Sakina Abushi:

Lieber Pierre, endlich ist die erste Publikation von kiez:story da! Wie ist sie entstanden und worum geht es?

Pierre Asisi:

Wir haben dieses Jahr einen Fachtag mit dem Titel „Multidirektionale politische Bildung in Zeiten von Flucht und Krieg“ veranstaltet, bei dem wir auch sehr viele Jugendliche als Expert*innen eingebunden haben. Es war zunächst eine kleine Fachtagsdokumentation geplant, aber nachdem die Resonanzen wirklich gut waren und es nach der Hälfte der Projektlaufzeit auch ein guter Zeitpunkt war, ein paar Ergebnisse darzustellen, haben wir uns dafür entschieden, eine etwas ambitioniertere Handreichung auf den Weg zu bringen. Hier sind neben unseren Erfahrungen und den von uns entwickelten Ansätzen auch viele Ergebnisse zu sehen, die die Jugendlichen im Projekt erarbeitet haben.

Sakina Abushi:

Die Publikation stellt die Fragen in den Mittelpunkt, die Jugendliche an sich und ihren Kiez haben. Welche Fragen sind das?

Pierre Asisi:

Wie der Titel unseres Fachtags auch schon anklingen lässt, wächst diese Generation unter zunehmenden Unsicherheiten auf. Die Krisen folgen nicht mehr aufeinander, sie überlagern sich: Klimakrise, Coronapandemie, sinnlose Kriege ohne Ende. Das waren alles Themen für die Jugendlichen, da sie die Auswirkungen in ihren eigenen Kiezen zu spüren bekommen – allerspätestens, wenn sie sich einen Döner kaufen möchten. Zudem waren wir auch viel in Kiezen unterwegs, die ohnehin von Armut betroffen sind und in denen es auch ohne Inflation in den letzten Jahren spürbar teurer geworden ist. Gentrifizierung war den wenigsten ein Begriff, aber dass da was passiert in ihrem Viertel und Menschen verdrängt werden, war für die meisten Realität. Viele Jugendliche möchten also wissen, welche Möglichkeiten sie haben, auf ihre eigenen Lebensumstände Einfluss zu nehmen. Positiver war die Auseinandersetzung mit den vielfältigen Spuren von Migration im Kiez. Sobald wir uns auch nur etwas frei machen von den medialen Diskursen sehen wir viele Erfolgsgeschichten – auch in den eigenen Familien. Wir wollten den Jugendlichen Lust machen, sich selbst auf Spurensuche zu begeben und mehr über die eigene Geschichte zu erfahren.

Sakina Abushi:

Warum ist es wichtig, dass Jugendliche sich mit der eigenen Familiengeschichte beschäftigen?

Pierre Asisi:

Es ist ja irgendwie paradox: Über die Menschen, mit denen wir sehr viel Zeit verbringen, wissen wir oft überhaupt nicht viel. Wie sind meine Großeltern zum Beispiel nach Deutschland gekommen? Wie war das Leben damals? Diese Stories werden oft nicht einfach preisgegeben, wir müssen aktiv danach fragen und selbst dokumentieren – wer macht es denn sonst? Dabei kommen schöne, aber auch tragische Geschichten zutage. Aus meiner eigenen Biografie heraus kann ich behaupten, dass dieses Wissen sehr empowernd wirkt. Wir werden zu Expert*innen unseres eigenen Lebens und können unseren Platz in der Gesellschaft beanspruchen.

Sakina Abushi:

Gibt es in der Handreichung auch praktische Tipps und Methoden?

Pierre Asisi:

Ja, wir haben drei Methoden abgebildet, die wir im Projekt entwickelt haben. In einer Kennenlernübung geht es um den sogenannten „Migrationshintergrund“. Macht es überhaupt Sinn, Menschen danach einzuteilen? Es findet sich außerdem eine Übung zum „Erbe der Gastarbeiter*innen“ und eine andere nennt sich „Ich, Krieg, Krise!“. Hier haben wir die Videos der gleichnamigen Videoserie eingebunden, die wir gemeinsam mit Jugendlichen produziert haben. Eigentlich ist sogar viel mehr entstanden, aber wir konnten wegen der Pandemie nicht alle Methoden ausreichend erproben. Wir haben also noch einiges im Köcher und freuen uns, diese Ideen im nächsten Jahr gemeinsam mit den Jugendlichen ausprobieren und auf einem weiteren Fachtag vorstellen zu können. Wer schon vorher Einblick bekommen will, kann unsere Aktivitäten auf unserem Instagram-Kanal nachverfolgen – stay tuned!

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