Drei Fragen an Mariam Puvogel zur Analyse „Attraktivitätsmomente von Kampfsport aus geschlechterreflektierender und rassismuskritischer Perspektive“
28. September 2022 | Diversität und Diskriminierung, Gender und Sexualität, Radikalisierung und Prävention

In der offenen Jugendarbeit wird Kampfsport als lebensweltlicher Bezugspunkt bereits berücksichtigt. Zuletzt rückte der Sport aber auch in den Fokus der Präventionsarbeit – nicht zuletzt aufgrund der Hinwendung prominenter Kampfsportler wie Valdet Gashi oder des Rappers Deso Dogg zum islamistischen Extremismus. Warum ist Kampfsport für junge Erwachsene attraktiv? Welche Anknüpfungspunkte finden gewaltorientierte Gruppen? Die Politologin und Kampfsportlerin Mariam Puvogel geht dieser Frage aus einer geschlechterreflektierenden und rassismuskritischen Perspektive nach, diskutiert aber aber auch das Potenzial von Kampfsport für das Empowerment junger Erwachsener. Wir haben Mariam Puvogel zum Kurzinterview getroffen.

Thy Le (ufuq.de):

Mariam, inwiefern ist es wichtig, da, wo Kampfsport und Islamismusprävention in Verbindung gebracht werden, auf Fallstricke hinzuweisen?

Mariam Puvogel:

Ganz praktisch geht es meines Erachtens in diesem Kontext darum, bestimmte Vorannahmen, die im Feld der Islamismusprävention oft bereits common sense geworden sind, wieder stärker zu hinterfragen und aus ihrer scheinbaren Normalität zu lösen. Dazu gehört es, kritisch zu hinterfragen, warum inzwischen pädagogische Zugänge zu jungen BPOC*, die als muslimisch gelesen werden, sehr schnell durch die Brille von Islamismusprävention gesucht werden. Die Analyse argumentiert hier aus Perspektive rassismuskritischer Forschung, dass es genau diese impliziten, scheinbar normalen Annahmen über die Gefährdung junger Muslim*innen durch eine potenzielle ‚Radikalisierung‘ sind, die zu einer Verfestigung von antimuslimischem Rassismus führen. Wenn also beispielsweise in Kampfsport-Gyms besonders viele muslimisch gelesene BPOC* zu finden sind, sollte daraus noch kein Bedarf für Islamismusprävention in diesen Räumen abgeleitet werden. Dieser verdachtsgeleitete Blick ist aber omnipräsent und wird verstärkt durch staatliche Förderlogiken, die es erleichtern, Gelder für die Arbeit mit jungen Muslim*innen aus Töpfen der Prävention zu bekommen. Genau das ist es, was Rassismusforscher*innen wie Arun Kundnani und Nicole Nguyen als die Schaffung von ‚suspect communities‘ kritisieren.

Thy Le (ufuq.de):

Ist Kampfsport vor allem ein (cis-)männliches Phänomen?

Mariam Puvogel:

Ich würde nicht argumentieren, dass Kampfsport immer ein cis* männlicher Raum ist. Als Kämpferin und später als Trainerin habe ich auch immer wieder mal in Gyms trainiert und Wettkampfveranstaltungen besucht, in denen der Teil nicht-cis*männlicher Personen sogar die Mehrheit war. Zudem haben weibliche Stars der Kampfsportszene wie Annissa Meksen, Tiffany van Soest oder zuvor Germaine de Randamie neue Standards im K1 und Thaiboxen gesetzt. Diese Kämpferinnen füllen ganze Zuschauer*innenhallen, nicht weil das Publikum weibliche Kämpferinnen sehen will, sondern weil Leute Kämpfe auf einem extrem hohen Niveau sehen wollen, so wie auch bei den männlichen Stars der Szene. In der Studie geht es insofern nicht um die An- oder Abwesenheit von ‚Frauen‘ im Kampfsport, sondern vielmehr um eine Analyse der hegemonialen Vorstellungen über gender innerhalb des Sports. Dazu zeige ich aus Perspektive kritischer Männlichkeitsforschung auf, wie im Kampfsport bestimmte Vorstellungen über Männlichkeit geformt werden, die auch von nicht-cis*männlichen Personen als Folie für die Bewertung von Leistungen und Verhalten reproduziert werden. Zudem ist es wesentlich, sich mit der engen Verknüpfung von Rassismus und Klassismus auseinanderzusetzen, um zu verstehen, warum vor allem BPOC* aus sozio-ökonomisch marginalisierten Kontexten in Kampfsportarten wie Thaiboxen und MMA international erfolgreich sind.

Thy Le (ufuq.de):

Warum ist es notwendig, rassismuskritische sowie geschlechterreflektierende Ansätze in der Sportpädagogik zu berücksichtigen?

Mariam Puvogel:

Geschlechterreflektierende Pädagogik geht davon aus, dass ein Verständnis geschlechtsbezogener Attraktivitätsmomente zentral ist, um die Anziehungskraft bestimmter Szenen oder Sportarten auf junge Erwachsene zu verstehen und dort Entlastungen zu schaffen, wo rigide Vorstellungen über Geschlecht Jugendliche einengen und zum Beispiel mit dem Zwang zur Verleugnung von emotionaler Verletzlichkeit einhergehen. Wenn also beispielsweise in der Jugendarbeit in Projekten, die mit ‚harten Jungs‘ arbeiten wollen, versucht wird, Zugänge über Kampfsport zu schaffen, ohne dass dabei Grundsätze rassismuskritischer Geschlechterforschung beachtet werden, führt dies eher zu einer Verfestigung autoritärer und starrer Rollenbilder. Entlastungen und alternative Modelle können so schwerlich geschaffen werden, da dies eine Reflexion über die Zumutungen patriarchaler Normen auch für männliche Jugendliche voraussetzt.

KN:IX-Analyse #5
Attraktivitätsmomente von Kampfsport aus geschlechterreflektierender und rassismuskritischer Perspektive
Die Beiträge im Portal dieser Webseite erscheinen als Angebot von ufuq.de im Rahmen des Kompetenznetzwerkes „Islamistischer Extremismus“ (KN:IX)
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