Neue ufuq.de-Broschüre: „Islamistische und rassistische Anschläge – ein Thema für Unterricht und Schule“
28. Januar 2022 | Radikalisierung und Prävention

Die Handreichung beleuchtet die pädagogischen, didaktischen und schulrechtlichen Herausforderungen, vor denen Lehrkräfte und Schulen nach islamistischen oder rassistischen Anschlägen stehen.

Die Beiträge gehen auf eine Webtalk-Reihe zurück, die im Frühjahr 2021 in Kooperation vom Infodienst Radikalisierungsprävention der Bundeszentrale für politische Bildung, dem Leibniz-Institut für Bildungsmedien – Georg-Eckert-Institut, dem Museum für Islamische Kunst – Staatliche Museen zu Berlin, der Bildungsstätte Anne Frank und ufuq.de veranstaltet wurde. Thy Le von ufuq.de hat unsere Kollegin Maral Jekta aus dem Redaktionsteam zu den Hintergründen der Webtalk-Reihe und der Handreichung befragt.

Thy Le: Maral Jekta, wieso sind islamistische und rassistische Anschläge ein Thema für Unterricht und Schule?

Maral Jekta: Nachrichten über Gewalt und Anschläge beschäftigen junge Menschen. Dabei ist es zunächst zweitrangig, ob es sich um ein rechtsextremes Attentat handelt, wie der Mordanschlag auf neun Menschen mit Migrationsbiografie in Hanau, oder um einen islamistischen Anschlag, wie im selben Jahr in Wien, Nizza oder Paris. Anschläge dieser Art beeinflussen das Sicherheitsgefühl von Jugendlichen heute mehr noch als vor 20 Jahren. Denn Gewalttaten und die gesellschaftlichen Debatten darüber sind auf Social Media sichtbarer als jemals zuvor. Das bekommen auch Jugendliche mit. Je mehr die Anschläge mit den Lebensrealitäten der Schüler*innen zu tun haben, umso wichtiger ist es, das Thema im Unterricht aufzugreifen.

Die Handreichung kann hier als pdf-Datei heruntergeladen werden. Gedruckte Exemplare sind gegen Erstattung der Versandkosten (3,- Euro für 1 bis 2 Exemplare, 4,- Euro für 3 bis 4 Exemplare, Versandkosten für mehrere Exemplare auf Anfrage) unter bestellung@ufuq.de erhältlich.

Viele Schüler*innen mit Migrationsbiografie waren irritiert, dass überall in den Medien über den Anschlag in Hanau gesprochen wurde, aber er im Unterricht kein Thema war. Sie fühlten sich dadurch mit ihren Gefühlen und Gedanken alleingelassen. Die Nichtthematisierung von Ereignissen, die für bestimmte Schüler*innen wichtig sind, kann von diesen bestenfalls als Unaufmerksamkeit seitens der pädagogischen Fachkraft gedeutet werden. Schlimmstenfalls kann es dem Gemeinschaftsgefühl der Klasse und der Schule schaden.

Thy Le: Wie lassen sich diese Anschläge denn aufgreifen? Und was muss man dabei beachten?

Maral Jekta: Eine gute Beziehung zu den Schüler*innen und genug Vorbereitungszeit sind zwei wichtige Aspekte. Bevor über Gewalttaten gesprochen wird, ist es hilfreich zu wissen, wie die Klasse zusammengesetzt ist. Sitzen im Klassenraum etwa Jugendliche, die besonders von dem Thema betroffen sein können? Mit diesem Wissen können Fachkräfte besser einschätzen, worauf sie bei der Thematisierung Rücksicht nehmen sollten. Beispielsweise können Jugendliche, die als Geflüchtete aus Kriegsgebieten kommen oder Diskriminierungserfahrungen gemacht haben, durch Schilderungen von islamistischen und rassistischen Gewalttaten retraumatisiert werden. In der Broschüre gibt es viele hilfreiche Empfehlungen dazu. Saba-Nur Cheema beantwortet in ihrem Beitrag Der Tag danach: Wir reden über Anschläge etwa die Frage danach, wie mit der besonderen Betroffenheit einzelner Schüler*innen umgegangen werden kann.

Sinnvoll ist es auch, die Jugendlichen selbst zu fragen, welche Aspekte ihnen in der jeweiligen Situation wichtig sind und warum. Muslimische Jugendliche stehen beispielsweise oftmals unter Rechtfertigungsdruck, wenn religiös begründete Attentate geschehen. Dann wird von ihnen häufig eine Distanzierung gefordert oder besonders kritisch auf ihre Reaktionen geschaut. Wenn pädagogische Fachkräfte ein Vertrauensverhältnis zu ihren Schüler*innen haben, können sie die Reaktionen der Schüler*innen besser einordnen. Dann kann man auch angemessen reagieren, wenn sich manche Schüler*innen beispielsweise einer Schweigeminute verweigern. Sehr selten ist die Verweigerung ein Indiz dafür, dass Jugendliche die Gewalt befürworten, schreibt Jochen Müller in seinem Beitrag zur Handreichung. Gespräche über solche und ähnliche Themen sind oftmals emotional aufreibend. Es kann durchaus passieren, dass Jugendliche sich abwertend und verletzend äußern oder die Opfer verhöhnen. Mit etwas mehr Vorbereitungszeit können Fachkräfte den Gesprächsablauf besser vorbereiten, indem sie etwa vorher Diskussionsregeln aufstellen. Deswegen geht es in einem Beitrag auch um Anregungen, wie kontroverse Themen im Unterricht debattiert werden können.

Thy Le: Was hat Sie im Rückblick an den Beiträgen am meisten überrascht?

Maral Jekta: Überrascht bin ich immer wieder über die Vielschichtigkeit des Themas. Dies zeigt sich auch in der thematischen Breite der Handreichung. Schulrechtliche Aspekte werden darin genauso angesprochen wie die Grenzen von Religions- und Meinungsfreiheit. Auffällig ist, dass sich viele Autor*innen dafür aussprechen, nuancierter an das Thema heranzugehen, und dazu raten, auch andere Perspektiven zu berücksichtigen. Dies klingt banal, der Hinweis darauf ist aber nach wie vor wichtig. Beispielsweise verstellen die identitätspolitischen Debatten, die im Umgang mit Gewaltakten aufflammen, oft den Blick für Perspektiven aus mehrheitlich muslimischen Ländern. Im Heft empfiehlt Riem Spielhaus vom Georg Eckert Institut die Unterrichtseinheit Humor im Islam? Muslimische Humorist*innen. Nur die wenigsten wissen, dass Humor auch in muslimischen Ländern eine wichtige gesellschaftskritische Ausdrucksform ist. Diese Information ist angesichts der sehr einseitig gefärbten Diskussionen beispielsweise um die Mohammed-Karikaturen erfrischend. Auch der Artikel „Du sollst dir (k)ein Bild machen!“ Bilderverbot und Prophetendarstellungen in islamisch geprägten Kontexten von Deniz Erduman-Çalış und Miriam Kurz enthält viele überraschende Informationen. Anhand von Objekten aus der islamischen Kunstgeschichte zeigen sie, dass es in islamischen Kontexten kein pauschales Bilderverbot gibt – nicht einmal in Bezug auf den Propheten Mohammed. Diese Beiträge können pädagogischen Fachkräften dabei helfen, zu diesen Themen im Unterricht zu arbeiten.

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