Jetzt mal konkret! Anregungen für den Unterricht #2: Alles anders? Solidarität mit Geflüchteten – aus der Ukraine und aus anderen Ländern
16. November 2022 | Demokratie und Partizipation

Seit Februar 2022 bestimmt der Krieg in der Ukraine die Nachrichten. Auch in der Schule teilen Kinder und Jugendliche ihre Sorgen, Fragen und Gedanken zu diesem Thema. Es gibt Stimmen, die eine Ungleichbehandlung von Geflüchteten aus der Ukraine und Geflüchteten aus anderen Ländern kritisieren. Diese Diskussionen bergen einerseits Konfliktpotenzial, stellen gleichzeitig aber auch eine gute Möglichkeit dar, mit Schüler*innen über mediale Berichterstattung, migrationspolitische Entscheidungen und Willkommenskultur zu reflektieren. Reina-Maria Nerlich hat im Rahmen unserer Unterrichtsreihe „Jetzt mal konkret!“ Anregungen entwickelt, um Lehrkräfte beim Umgang mit diesem Thema zu unterstützen. Im Kurzinterview erklärt die Autorin, was man dabei berücksichtigen sollte.

Sakina Abushi (ufuq.de):

Liebe Reina, wieso sollte man auch jetzt noch mit Jugendlichen über den Krieg in der Ukraine sprechen?

Reina-Maria Nerlich:

Man sollte auch weiterhin mit Jugendlichen über den Krieg in der Ukraine sprechen, weil dieser leider nach wie vor andauert und auch als Thema sehr präsent ist. Das prallt natürlich auch an Jugendlichen nicht ab. Sie schnappen viel auf, haben Fragen, Ängste und andere Emotionen und Meinungen. All dies braucht Raum. Oft brauchen die Jugendlichen auch vertiefendes Hintergrundwissen, um Argumente, die sie aufschnappen und teils reproduzieren, wirklich einordnen und dann gegebenenfalls auch hinterfragen zu können. Ich wurde in den letzten Monaten tatsächlich oft direkt von Jugendlichen gefragt, ob der Krieg nicht im Unterricht besprochen werden könnte.

Sakina Abushi:

Welche Debatten kann man dabei aufgreifen?

Reina-Maria Nerlich:

Es gibt ganz viele verschiedene Aspekte, die man durch das Thematisieren des Krieges in der Ukraine aufgreifen kann. Solidarität spielt etwa eine große Rolle, gerade jetzt, wo auch hier in Deutschland immer klarer wird, dass wir die Auswirkungen auch privat spüren werden. Es geht darum, wie in Deutschland und in Europa mit Geflüchteten umgegangen wird. Das ist eine Frage, die in der Schule sehr präsent ist. Jugendliche nehmen wahr, dass es Unterschiede im Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine im Vergleich zu Geflüchteten aus anderen Krisen- und Kriegsregionen gibt. Sie nehmen auch wahr, dass über den Krieg in der Ukraine anders, vielleicht intensiver oder anhaltender, gesprochen und berichtet wird als das bei anderen Kriegen der Fall ist oder war. Dies wird vor allem dann angeprangert, wenn Jugendliche einen familiären oder persönlichen Bezug zu anderen Kriegsregionen haben. Es geht aber auch um abstraktere Werte wie Pazifismus, Freiheit und Demokratie.

Sakina Abushi:

Was sollte man beachten?

Reina-Maria Nerlich:

Wenn ich mit Jugendlichen über den Krieg in der Ukraine gesprochen habe, habe ich auch schon Aussagen gehört, die die Grenzen der Menschenrechte überschreiten. Hier finde ich es wichtig, eine Balance zu finden: Auf der einen Seite muss ich diese Grenze klar aufzeigen und benennen. Auf der anderen Seite muss ich im Hinterkopf haben, dass gerade bei Jugendlichen so manche Äußerung auch ein (bewusstes) Austesten der Grenzen ist und dass solche Äußerungen manchmal nur ein Mittel zum Zweck sind. Während ich also die Aussage durchaus verurteile, sollte ich das Individuum davon trennen und viel mehr darauf schauen, welches Bedürfnis hinter der Äußerung des*r Jugendlichen möglicherweise steckt. Tue ich dies nicht, gehe ich meiner Meinung nach die Gefahr ein, die Person zu verlieren und dann wird es unmöglich, durch Wissens- und Wertevermittlung zur Dekonstruktion der Aussage beizutragen – im Gegenteil, eine problematische Position wird sich wohl eher noch verhärten. Wichtig ist auch, Emotionen Raum zu geben: Mir ist bereits mehrmals aufgefallen, dass gerade Jugendliche erst einmal ihren Gefühlen Ausdruck verleihen müssen, bevor Platz für die faktische und inhaltliche Auseinandersetzung ist.

Sakina Abushi:

Vielen Dank, Reina!

Jetzt mal konkret! #2
Alles anders? Solidarität mit Geflüchteten – aus der Ukraine und aus anderen Ländern
GEFÖRDERT VON
Die Beiträge im Portal dieser Webseite erscheinen als Angebot von ufuq.de im Rahmen des Kompetenznetzwerkes „Islamistischer Extremismus“ (KN:IX).
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