„Deutscher Pass, deutsches Staatsexamen und deutscher Führerschein – und trotzdem soll ich mein Deutschsein beweisen.“ Meine Erfahrungen als Lehrer mit Migrationsbiografie
6. Oktober 2022 | Diversität und Diskriminierung, Geschichte, Biografien und Erinnerung

Immer wieder wird die Forderung nach mehr Lehrkräften „mit Migrationshintergrund“ laut. Von ihnen wird viel erwartet: Sie sollen als Dolmetscher*innen oder Expert*innen für „interkulturelle Problemsituationen“ wirken oder als Vorbilder für Schüler*innen mit Migrationsgeschichte dienen. Doch weshalb ergreifen eigentlich so wenige Menschen mit Migrationsbiografie den Lehrberuf? Mansur Seddiqzai meint: Rassismus und Diskriminierung am Arbeits- und Lernort Schule spielen eine große Rolle. Hier berichtet er von seinen Erfahrungen als Lehrkraft an verschiedenen Schulen in Nordrhein-Westfalen.

In meiner Jugend gab es kaum einen Beruf, den ich weniger ergreifen wollte als den des Lehrers. Und das lag nicht nur an der für viele Jugendliche typischen Ablehnung gegenüber Schule, die man mal eben durchmacht. In der Schule habe ich neben Mathe, Deutsch und Geografie nämlich auch gelernt, dass einige Lehrerkräfte Schüler*innen wie mich besonders auf dem Kieker hatten. Während deutsche Schüler*innen ohne Migrationsbiografie in den Augen der Lehrer*innenschaft vielleicht mal eine rebellische Phase hatten, stand bei uns Schüler*innen mit Migrationsbiografie schnell der Verdacht im Raum, dass rebellisches, vielleicht sogar aggressives Verhalten keine Ausnahme, sondern die Norm in „unserer Kultur“ sei. Kurz kann man sagen: Weiße Schüler*innen hatten manchmal ein Problem, wir aber waren das Problem. Als ich mich viele Jahre später entschied, selbst Lehrer zu werden, waren Freunde und Familie überrascht. Auch ich hätte es mir nach meinen schlechten Erfahrungen als Schüler nicht träumen lassen, dass ich einmal diesen Weg wählen würde. Als Erwachsener blickte ich aber milder auf meine ehemaligen Lehrkräfte und fragte mich, ob ich viele der schlechten Erfahrungen nicht doch eher meinem eigenen Verhalten zuzuschreiben hatte.

Rassismus ist ein hartes Wort und dennoch nutze ich es hier. Die meisten Menschen möchten damit nicht in Verbindung gebracht werden, weil sie sich selbst nicht als Rassist*innen sehen – zu Recht. Es braucht einiges an kruder Überzeugung, um der Idee anzuhängen, dass es verschiedene menschliche Rassen gäbe, die man dann auch noch in „bessere“ und „schlechtere“ einteilt. Wer heute noch einer solchen vermeintlichen „Rassenlehre“ anhängt, ist meist offen rechtsextrem. Dennoch haben sich viele alte Vorurteile gehalten, selbst bei Menschen, die sich als weltoffen und tolerant verstehen.

Und so hat jeder Mensch Vorurteile, ich selbst bin nicht frei davon. Als ich für mein Referendariat einer Schule im Essener Süden zugeteilt wurde, hatte ich anfangs ein mulmiges Gefühl. Schließlich wohnen dort die Besserverdienenden, Menschen mit  Migrationsbiografie gibt es nur wenige. Da ich es aus der Schule nicht anders gewohnt war, fragte ich mich, ob man mich als Referendar eher auf meine Hautfarbe und Herkunft reduzieren würde. Ich beantragte also eine Versetzung, noch bevor meine Lehramtsausbildung begonnen hatte. Die Erfahrungen meiner Schulzeit hingen mir noch nach.

Mein Antrag wurde jedoch abgelehnt und die Schule entpuppte sich als unerwarteter Segen. Zum Teil lag ich mit meiner Vermutung richtig: die Lebenswirklichkeit der Schüler*innen war weit entfernt von dem, was ich selbst als Jugendlicher erlebt hatte. Im Viertel begegneten mir weder Armut noch Kriminalität, aber natürlich war auch hier nicht alles rosig. Psychische Probleme, Prüfungsangst und Eltern, die Kind und Karriere nur schwer unter einen Hut bringen konnten, machten meinen Schüler*innen zu schaffen. Für viele der Kinder war die Perspektive, die ich aus einer ganz anderen Welt mitbrachte, interessant und so profitierten sowohl sie als auch ich. Da die meisten Schüler*innen aus derselben privilegierten gesellschaftlichen Schicht stammten, begegnete man sich hier auf Augenhöhe. Das hatte ich an anderen Schulen anders kennengelernt.

Bereits im Lehramtsstudium absolviert man die ersten Praktika. Eine meiner Praktikumsschulen befand sich in Wuppertal, dort war die Schüler*innenschaft wesentlich diverser als an meiner Referendariatsschule im Essener Süden. An meiner Praktikumsschule teilte man Klassen in zwei Kategorien von Schüler*innen auf: diejenigen, die Musikinstrumente spielten und diejenigen, die keine spielten. Man tat dies, um sich in den Musikklassen auf eine eher musisch orientierte Förderung zu konzentrieren. Relativ schnell zeigte sich jedoch, dass diese Aufteilung noch einen anderen Effekt hatte. So bestanden die Musikklassen fast ausschließlich aus wohlhabenden, weißen Schüler*innen, während die Klassen ohne musikalischen Fokus migrantisch aussahen und dort viele Schüler*innen finanziell schlechter gestellt waren. Auch das Leistungsniveau der beiden Klassen unterschied sich. Finanziell besser gestellte Schüler*innen haben oft mehr Bildungsmöglichkeiten, außerdem eigene Zimmer, in denen sie ruhig lernen können. Ihre Eltern können Nachhilfestunden bezahlen. Die Musikklassen waren bei den Lehrkräften beliebt, während in der Klasse ohne Musikfokus nur die sehr strengen Lehrer*innen unterrichteten. Der Fokus lag hier eher auf Disziplinierung. Natürlich kann man solch eine Aufteilung auch rationalisieren, sich einreden, es geschähe zum Wohl aller Schüler*innen. Tatsächlich wurden hier aber reiche von armen Schüler*innen getrennt und das hieß eben oft: migrantische von nicht-migrantischen Schüler*innen. Als Student hoffte ich, dass diese Art der Auslese eine Ausnahme sei, und tatsächlich sah ich an meiner Referendariatsschule dann, wie guter, offener Unterricht ohne Vorverurteilung aussah.

Leider verging mein Referendariat aber nicht ganz ohne negative Erfahrungen. Kurz vor meinem zweiten Staatsexamen begann ein Kollege, mit dem ich mich bis dahin gut verstanden hatte, eine heftige Diskussion im Lehrer*innenzimmer. Es ging um die damals noch junge PEGIDA-Bewegung, die noch nicht vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Mitten im Gespräch polterte der Kollege den Satz: „Der Islam ist für mich die Religion des Bösen.“ Noch während ich überlegte, ob er nur einen schlechten Witz gemacht hatte, fiel mir die Stille der anderen Kollegen auf. Ich fragte nach, woher seine Überzeugung kam und öffnete damit einer Tirade Tür und Tor. Seine Frau habe den Koran gelesen, erzählte er mir, im Islam müsse jeder seine Frau schlagen. Als ich ihn etwas ungläubig fragte, ob er mich jetzt für böse und einen Frauenschläger hielt, war er verdutzt. Er hätte nie gedacht, dass ich Muslim sei, erklärte er mir, denn er dachte bisher, ich sei intelligenter. Auch jetzt, wo er mich persönlich angriff, mischte sich keine*r der Kolleg*innen ein, ganz egal, wie sehr ich in der Runde nach Augenkontakt suchte. Als junger Lehrer in Ausbildung war ich mir meiner vulnerablen Position bewusst. Keine*r meiner Kolleg*innen  kam mir zur Hilfe, stattdessen fragte mich jetzt auch eine andere Kollegin, ob die Vorwürfe denn stimmten. Und während ich mich in einer Situation wiederfand, die mich stark an ein Polizeiverhör erinnerte, musste ich an das Schild denken, das stolz im Schuleingangsbereich prangte: „Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage“.

Das Projekt „Schule ohne Rassismus“, auf das das Banner verweist, ist eine Art Selbstverpflichtung, sich aktiv gegen Rassismus und Mobbing einzusetzen. Um das Banner zu erhalten, muss eine Schule aber keine Auflagen erfüllen. Als ich später über den Vorfall nachdachte, fiel mir auf, dass alle anwesenden Lehrkräfte – diejenigen, die mitmachten und diejenigen, die betreten wegschauten oder gar aus dem Lehrer*innenzimmer gingen, weil sie die Anfeindungen des Kollegen nicht ertragen konnten – durch und durch gebildete, politisch linksliberal eingestellte Menschen waren. Auch wenn meine Erfahrungen an der Schule im Essener Süden fast ausschließlich positiv waren, so gab mir diese Episode dennoch einen Dämpfer. Wie sich herausstellen sollte, war sie die perfekte Vorbereitung auf das, was nach dem Referendariat auf mich zukommen sollte.

Ich schloss mein Zweites Staatsexamen mit sehr guten Noten ab und hätte an meiner zukünftigen Schule sechs Fächer unterrichten können. Meine Leistungen würden die Vorbehalte wegen meiner Herkunft und dem schwer auszusprechenden Namen in den Hintergrund drängen, daran glaubte ich. Schließlich wurde mir seit der Grundschule eingebläut, dass Deutschland eine Leistungsgesellschaft sei. Man müsste also, so meine Kalkulation, durch mehr Leistung auch mehr Chancen bekommen. Diese Art der Überkompensation kennen viele Menschen mit Migrationsbiografie. Man versucht den vermeintlichen „Makel“ der Migration durch bessere Leistung und stärkeren Einsatz auszugleichen.

Also verschickte ich insgesamt 64 Bewerbungen, und bekam 63 Absagen. Meine deutschstämmigen Referendarskolleg*innen fanden in der Zwischenzeit alle eine Stelle, obwohl sie weniger Fächer studiert und teilweise schlechtere Noten hatten. Zwar baten mich rund 40 Schulen zum Vorstellungsgespräch, weil für die Einladung der Notendurchschnitt der Bewerber*innen mitentscheidet. Aber unabhängig davon, ob die Schule besonders viele migrantische Schüler*innen hatte oder besonders wenige: Immer wurde ich abgelehnt. An manchen Schulen sagte man mir ganz offen, dass ich nicht zum „Klientel“ der Schule passen würde.

An sogenannten „Brennpunktschulen“  wurde mir erklärt, dass die guten Leistungen in meinen Zeugnissen einen zu verkopften Menschen zeigten. Ich sollte also besser an einer Schule mit leistungsfähigeren Schüler*innen arbeiten. An solchen Schulen aber empfahl man mir aufgrund meiner Herkunft, doch in den Brennpunkt zu gehen, dort könne ich mehr erreichen. Das Endergebnis blieb das gleiche: Ich erhielt eine Absage nach der anderen.

Nicht immer geschah das überraschend. Bei einigen Schulen im Umkreis gab ich meine Bewerbung persönlich ab, um Berührungsängste abzubauen. Einmal traf ich auf einen besonders engagierten Schulleiter, der mich auch gleich begeistert durch die Schule führte. Ziemlich schnell zeigte er jedoch eine sehr eigenartige Einstellung zu seinen Schüler*innen, von denen fast alle eine Migrationsbiografie hatten. Als zwei Schüler im Sekretariat auf ihn warteten, blaffte er sie an, was sie dort denn wollten. Sie versuchten sich in gebrochenem Deutsch zu erklären, aber er ließ sie gar nicht zu Wort kommen. Stattdessen verfiel er nun selbst in gebrochenes Deutsch: „Ihr nicht hier sein dürfen! Ihr draußen sein!“ Als das – natürlich – auch nicht half, fragte er mich, ob ich mit den beiden nicht „in ihrer Sprache“ sprechen könne. Die Jungen waren Geflüchtete aus Rumänien. Zwar wusste er aus unserem vorherigen Gespräch, dass meine Eltern aus Afghanistan stammten, aber die dunklere Hautfarbe, die die Jungen und ich aufwiesen, hatte wohl gereicht, um ihn zu überzeugen, dass wir auf eine magische Art und Weise miteinander kommunizieren konnten. Es überraschte mich also nicht, als hier die Absage kam und der Schulleiter mir in einem letzten Telefonat noch kurz bestätigte, dass ich „natürlich“ die Stelle niemals bekommen hätte – weil ich einfach als Lehrer nicht geeignet sei. Später erfuhr ich, dass es gegen den Mann bereits mehrfach Beschwerden gab. Da er aber ohnehin kurz vor der Pension stand, wurde nichts unternommen.

Auch an anderen Schulen konnte ich mich nicht durchsetzen. Und so versuchte ich mir auch hier wieder einzureden, dass ich vielleicht selbst für die Absagen verantwortlich sei, dass es mit mir nur „zufällig“ einen Migranten trifft. Nach einer längeren Durststrecke hatte ich dann schließlich doch Erfolg: Ich erhielt an einer Schule in Dortmund eine feste Stelle.

Am Ende bin ich nur deshalb angestellt worden, weil dringend Islamlehrer gesucht wurden. Religionsunterricht – egal ob christlich oder islamisch – ist in Nordrhein-Westfalen konfessionsgebunden. Es kann nur jemand, der selbst der Glaubensgemeinschaft angehört, das Fach unterrichten. Im Fach Islamunterricht gab es also keine weiße Konkurrenz. Meine Studienabschlüsse, meine Leistungen waren nicht wichtig. Ich fühlte mich auf mein Muslimsein reduziert. Immerhin kam ich an eine Schule, an der die Schüler*innenschaft fast vollständig aus Jugendlichen mit Migrationsbiografie bestand, die selbst aus prekären Verhältnissen stammten und ähnlich wie ich aufwuchsen. Gerade weil ich als Jugendlicher vielen Gefahren durch Kriminalität, aber auch durch religiöse Radikalisierung ausgesetzt war, freute ich mich, dass ich nun Jugendlichen mit ähnlichen Problemen helfen konnte.

Schulen wie meine werden in den Medien oft als schwierig dargestellt. Es gibt Probleme mit Drogen und Gewalt, die Viertel, in denen diese Schulen stehen, werden als No-Go-Areas verbucht. Wenn ich erzähle, in welchem Stadtteil ich unterrichte, entgegnet mir oft Mitgefühl – es müsse doch gefährlich sein, als Lehrer in solch einer Umgebung zu arbeiten. Tatsächlich ist die Arbeit an einer sogenannten Problemschule viel schwieriger als an der privilegierten Schule, an der ich mein Referendariat machen durfte, aber überraschenderweise liegt das nicht an den Schüler*innen. Denn Schüler*innen in diesen vermeintlichen „Problemvierteln“ sind oft resiliente, kreative junge Menschen. Die Solidarität untereinander ist an sogenannten „Problemschulen“ oft erstaunlich.

Die Anfeindungen, denen ich begegnete, nachdem ich bereits fest verbeamtet war, kamen nicht aus der Schüler*innenschaft. Zwar war ich als Religionslehrer an der Schule eingestiegen, weil es genau das war, was die Schule zu dem Zeitpunkt brauchte, dennoch wurde mir das zum Verhängnis. Während der Kollege an meiner Ausbildungsschule die ganze Zeit nicht begriffen hatte, dass ich Muslim bin, nahmen mich einige meiner neuen Kolleg*innen jetzt nur noch als „den Islamlehrer“ wahr.

Schon bald begannen Lehrkräfte, die nie ein Wort mit mir gewechselt hatten und mich ignorierten, wenn ich sie grüßte, hinter meinem Rücken die Hefte meiner Schüler*innen einzusammeln, um nachzuforschen, welche radikalen Inhalte ich im Islamunterricht vermitteln würde und ob ich die Schüler*innenschaft islamistisch unterwandern wollte. Ich erfuhr, dass sie Strichlisten führten, um zu schauen, wie viele Verspätungsminuten ich im Halbjahr ansammeln würde. Die Arbeitsatmosphäre wurde dadurch sehr unangenehm und ich ging bald nur noch selten ins Lehrer*innenzimmer. Doch mein Fortbleiben fiel bald auf. Kolleg*innen beschwerten sich beim Schulleiter, dass ich „integrationsunwillig“ sei. Dieser riet mir, mich doch einfach mehr blicken zu lassen. So war es häufig: Wenn Kolleg*innen sich mir gegenüber unfair verhielten, sollte ich das durch Verständnis ausgleichen, noch mehr auf sie zugehen. Als ich die Feindseligkeiten während einer Lehrerkonferenz in großer Runde ansprach, erklärte ein Biologielehrer freimütig, dass die Ablehnung, die mir und den mittlerweile hinzugekommenen weiteren migrantischen Lehrkräften entgegengebracht wurde, nur natürlich sei. Evolutionsbiologisch fürchte sich der Mensch vor dem Fremden und wir als Fremde müssten dieses Misstrauen verstehen und aushalten. Andere Kolleg*innen stimmten zu. Tatsächlich hat sich dieser Mensch Jahre später bei mir entschuldigt. Ihm wurde erst viel später bewusst, wie abwertend er sich mir gegenüber geäußert hatte.

Über die Jahre stumpft man ab und nimmt viele Anfeindungen weniger ernst. Dass ich heute trotz deutschem Pass, deutschem Studium, deutschem Staatsexamen und deutschem Führerschein mein Deutschsein auch noch zusätzlich beweisen soll, indem ich in ein Lehrer*innenzimmer gehe, wo ich von einigen ungern gesehen bin, setzt mir nicht großartig zu. Problematischer als die, die sich eindeutig feindselig verhalten, sind für mich auch meist die Kolleg*innen, die einfach wegschauen. Sie tun dies oft aus Hilflosigkeit heraus, dabei hätten sie viel Macht, wenn sie sich einmischen würden. Als ich nach einem für mich besonders schlimmen Erlebnis einer Kollegin ohne Migrationsbiografie von meinem Problem zu erzählen begann, bat sie mich, nicht weiterzusprechen. Sie selbst bekäme den Rassismus der Kolleg*innen ja nicht mit und würde sich an der Schule sehr wohl fühlen. Das wolle sie sich durch meine Erfahrungen nicht kaputt machen lassen.

Tatsächlich sind die Erlebnisse, die ich hier aufschreibe, nur ein Bruchteil von dem, was mir in den letzten Jahren passiert ist. Und so ist es schwer, in einen Text über Rassismus auch eine positive Note hineinzubringen. Aber hier ist sie: Vor ein paar Wochen wurde ich von der Schule kontaktiert, an der ich mein Referendariat absolviert hatte. Ein Lehrer hatte im Unterricht den Islam als „böse Religion“ bezeichnet. In Folge wurde der einzige muslimische Schüler der Klasse durch seine Mitschüler*innen gemobbt. Anders, als ich das bisher gewohnt war, hatte sich die Schulleitung des Falles angenommen. Der Lehrer wurde gerügt, die Klasse zu einem Vortrag einberufen, den ich halten sollte. Das Gespräch mit der Klasse über Zivilcourage und Mobbing, über versteckten und offenen Rassismus verlief gut. Was mich jedoch besonders freute, war die Reaktion des betroffenen Lehrers. Auch er kam zum Vortrag, sprach mich an und entschuldigte sich für seine Aussagen. Er selbst sei streng christlich aufgewachsen, hatte sich nur mit Mühe aus der eigenen Religion befreit. Als religiös „gebranntes Kind“ sei er nun manchmal etwas übereifrig, wenn es um Religionskritik gehe. Dass seine Aussagen solche Folgen für den muslimischen Schüler hatten, war ihm nicht bewusst gewesen. Wir hatten ein gutes Gespräch und einigten uns, dass Religionskritik wichtig ist, man diese aber immer frei von Rassismen äußern muss – und kann.

Hier also hatte ein Schüler die Anfeindungen, denen er sich ausgesetzt sah, nicht einfach hingenommen. Er hatte auf seine Situation aufmerksam gemacht. Das ist der erste Schritt, um eine Situation zu verbessern. Der zweite und wichtigere Schritt war jedoch, dass die Schulleitung seine Lage ernst nahm und aktiv gegen den Missstand vorging. Wenn Schule wirklich Courage zeigt und das Wort nicht nur an die Eingangstür klebt, kann aus der „Schule ohne Rassismus“ wirklich etwas werden. Dafür müssen sich aber alle engagieren, auch diejenigen, die es eigentlich nicht betrifft. Frei nach Erich Kästner sind an Rassismus nicht nur diejenigen Schuld, die diskriminieren, sondern auch die, die nichts dagegen unternehmen. Manche Menschen können aus dem Raum gehen, um Rassismus zu vermeiden. Anderen Menschen aber folgt der Rassismus, wohin sie auch gehen. Dass sich viele Schüler*innen heute mehr wehren als ich es tat, freut mich so sehr wie die Bereitschaft einer Schulleitung, diesen Mut zu würdigen.

Die Beiträge im Portal dieser Webseite erscheinen als Angebot von ufuq.de im Rahmen des Kompetenznetzwerkes „Islamistischer Extremismus“ (KN:IX)
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