Der mit dem Zeigefinger
5. April 2024 | Religion und Religiosität

Antonio Rüdiger; Bild: Instagram. @toniruediger, https://www.instagram.com/p/C4WfkMqCkT7/

Antonio Rüdiger ist 31 Jahre alt – und damit noch nicht so weit entfernt von den Zielgruppen pädagogischer und präventiver Arbeit. Außerdem dürfte er für viele Menschen, insbesondere für Jugendliche mit Migrationsgeschichten, eine Art Vorbild sein. Auf X folgen dem deutschen Fußballnationalspieler in Diensten von Real Madrid jedenfalls fast 2 Millionen und auf Instagram knapp 9 Millionen vornehmlich jüngere Menschen. Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion interessant, die in der vergangenen Woche in den öffentlichen und sozialen Medien um einen Post von ihm entbrannte, in dem Rüdiger sich anlässlich des Ramadans betend und mit erhobenem Zeigefinger präsentierte. (Wobei uns an dieser Stelle weniger das eher stereotype Raunen interessiert, wonach Rüdiger dem Islamismus nahestehen könnte.)

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk Kultur erörtert Harry Harun Behr, Professor für Erziehungswissenschaften mit Schwerpunkt Islam, sowohl die religiöse Bedeutung des Zeigefingers als auch die verschiedenen Kontexte, in dem er als Symbol verwendet und interpretiert werden kann. Das reicht von einer rein religiösen Geste im Rahmen des Gebets bis zu ihrer extremistischen Vereinnahmung seitens des islamistischen IS. Dazwischen liegt ein ganzes Spektrum weiterer Interpretationsmöglichkeiten – und zwar sowohl des Zeigefingers als auch anderer „Gesten“, Symboliken, Positionen und Verhaltensformen von Jugendlichen, die unserer Erfahrung nach in Schule und Jugendarbeit immer wieder zu Fragen und Konflikten führen. So kann hinter unterschiedlichen Formen von Religionsbekundung (wie z. B. dem Wunsch oder der Forderung nach Möglichkeiten zum Gebet) neben der Religiosität auch die Kritik an Diskriminierungserfahrungen und der Wunsch nach Anerkennung stehen. Dabei können (und sollen) die von Jugendlichen eingenommenen Posen und Positionen durchaus provozieren. Im Interview verweist Behr etwa auf die politische Geschichte des erhobenen Zeigefingers als Zeichen des Empowerments in postkolonialen muslimischen Bewegungen.

Er schließt mit dem Wunsch, mit Antonio Rüdiger darüber ins Gespräch zu gehen, was dieser mit seiner Inszenierung denn zum Ausdruck bringen wollte. Und genau darin liegt für uns die über den Zeigefinger hinausweisende Bedeutung dieser und ähnlicher Szenarien für die pädagogische Arbeit: Fragen zu stellen, Räume zu geben für das Gespräch, zuzuhören und anzuerkennen, was Jugendliche mit Gesten, Begrifflichkeiten, Forderungen oder Verhaltensweisen verbinden und was sie möglicherweise damit bewirken wollen. Das wäre auch die Grundlage, die eine Einschätzung solcher Posen und Positionen erst ermöglicht, und auf der auch pädagogische Interventionen erst gelingen können.

 

Unter folgendem Link können Sie das Interview mit Harry Harun Behr im Original hören: https://www.deutschlandfunkkultur.de/islamismusvorwurf-der-erhobene-zeigefinger-welche-bedeutung-hat-diese-geste-dlf-kultur-65f41e47-100.html

Und unter diesem Link finden Sie einen kurzen Text, der auf unserer Website zu einem ähnlichen Thema erschienen ist: https://www.ufuq.de/aktuelles/wer-ist-wir-fragwuerdige-botschaften-aus-dem-innenministerium/

 

Bildnachweis: © Instagram. @toniruediger / instagram.com

 

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