„Dass es in meiner Familie kriminelle Leute gibt, liegt doch auch daran, dass die deutsche Gesellschaft uns am Anfang den Rücken gekehrt hat.“ – Der neue ufuq.de Couch Talk mit Mohamed Chahrour und Marcus Staiger vom Podcast „Clanland“
13. Oktober 2022 | Demokratie und Partizipation, Diversität und Diskriminierung

Maryam Kirchmann im Gespräch mit Mohamed Chahrour und Marcus Staiger. Bild: ufuq.de

Regelmäßig schaffen es sogenannte „arabische Clans” in die Schlagzeilen. Die Berichterstattung konzentriert sich dabei überwiegend auf (männliche) Straftäter, während Angehörige dieser Strukturen weniger Gehör finden. Doch was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Clan und einer Großfamilie? Wie fühlt es sich an, aufgrund seines Nachnamens ständig unter Generalverdacht zu stehen? Unsere Kollegin Maryam spricht mit Mohamed Chahrour und Marcus Staiger vom Podcast „Clanland” über Fallstricke des deutschen Bildungssystems, die Rolle von Politik, Medien und Polizei und darüber, was Pädagog*innen tun können, um Jugendliche aus sogenannten „Clans“ im Umgang mit Vorurteilen zu unterstützen.

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Das Buch „Dakhil – Inside arabische Clans” erscheint am 21. Oktober 2022 im Ghost Verlag.

Transkript zum Video

Maryam Kirchmann:

Hallo und herzlich willkommen zum ufuq.de Couch Talk. Mein Name ist Maryam und heute sprechen wir über ein polarisierendes Thema: Clans und Clankriminalität. Stellt euch mal vor, ihr tragt einen bestimmten Nachnamen. Und dieser Nachname sorgt überall im Alltag, in der Schule, bei der Wohnungsbesichtigung, sogar im Job dafür, dass ihr in eine bestimmte Schublade gesteckt werdet und unter Generalverdacht steht. Völlig unabhängig davon, ob das stimmt oder frei erfunden ist. So geht es Mitgliedern von sogenannten Clans alltäglich. Heute spreche ich mit Marcus Staiger und Mohamed Chahrour, den Machern des Podcasts Clanland genau über dieses Thema. Schön, dass ihr beide da seid!

Marcus Staiger:

Hallo.

Mohamed Chahrour:

Hi. Schön, dass wir da sein dürfen.

Maryam Kirchmann:

Mohamed, du trägst genau einen solchen Nachnamen. Was sind deine Erfahrungen damit?

Mohamed Chahrour:

Ganz viele. Wir müssen das ein kleines bisschen eingrenzen. Du kannst ja kurz irgendeinen von den Punkten, die du genannt hast, aussuchen, und ich sage dir etwas zu meinen Erfahrungen.

Maryam Kirchmann:

Das klingt ja schon so, als wäre das total anstrengend.

Marcus Staiger:

Ich gebe ein Stichwort: Wohnungsbesichtigung.

Mohamed Chahrour:

Das ist gut (Alle lachen.). Das ist sogar richtig gut. Mein Lieblingsbeispiel ist, als ich mal eine Wohnung besichtigen wollte und da angerufen habe: „Ja, hallo, ich würde gerne die Wohnung besichtigen.“ „Ja, mit wem spreche ich denn da?“ „Ja, hier Mohamed Chahrour.“ „Nein, Chahrour wollen wir nicht.“ Aufgelegt.

Marcus Staiger:

Berufsleben.

Mohamed Chahrour:

Berufsleben (lacht): Ich habe irgendwann eine Ausbildung angefangen als Einzelhandelskaufmann und in der Probezeit hat der Chef gesagt: „Ey, du bist so ein guter Junge, aber dein Name ist leider schlecht für unseren Betrieb.“

Marcus Staiger:

Schule.

Mohamed Chahrour:

Schule, Alter. Was gab es in der Schule? In der Schule war das nicht so schlimm.

Maryam Kirchmann:

Wirklich?

Marcus Staiger:

Pausenhof? Oder erste Klasse, die Eingangsgeschichte.

Mohamed Chahrour:

Ja, die Pausenhof-Story ist folgende: Wir wurden eingeschult, standen auf dem Schulhof und die ganzen älteren Kinder aus der fünften oder sechsten Klasse sind gekommen und haben gefragt: „Wie heißt du?“, „Bist du Türke?“, „Bist du Araber?“ blablabla. Ich meinte: „Ich bin Libanese und heiße Mohamed.“ Und als ich das gesagt habe, haben einige von den Sechstklässlern gefragt: „Von welcher Familie bist du?“ Ich habe ihnen gesagt, dass ich Chahrour heiße. Auf einmal ist alles ruhig geworden. Alle tuschelten. Dann kam einer zwischen ihnen durch und sagte: „Ey, kennst du Hasan Chahrour?“ Ich dachte, er meint meinen Cousin.

Maryam Kirchmann:

Es gibt ja bestimmt nur einen (lacht).

Mohamed Chahrour:

Ja, das war damals noch so in meinem Kopf. Ich war so sechs, sieben Jahre alt. „Ja, der war gestern bei uns zu Hause“, „Ja, grüß ihn mal von mir“, „Klar, mache ich.“ Später hat sich herausgestellt, dass er einen Hasan Chahrour von ganz woanders gemeint hat, den ich erst viel später kennengelernt habe. Eigentlich eine ganz nette Geschichte.

Maryam Kirchmann:

Wahnsinnig viele Geschichten, bei denen man schon einmal einen Eindruck davon bekommt, wie nervig das eigentlich sein muss. Ich glaube, bevor wir in das Thema einsteigen, müssen wir unseren Zuschauer*innen erklären, was eigentlich der Unterschied ist zwischen einem Clan und einer Großfamilie und ob es überhaupt einen Unterschied gibt.

Mohamed Chahrour:

Ist für mich ehrlich gesagt schwer zu sagen. Alleine schon aus dem Grund, dass es Leute in unserer Familie gibt, die sagen würden: „Nö, ich identifiziere mich mit diesem Clanbegriff überhaupt nicht“ und die damit leider meiner Meinung nach diese negative Konnotation noch bekräftigen, weil sie sich selbst davon distanzieren. Eine Großfamilie ist es in Deutschland ja schon bei drei Kindern und beiden Elternteilen, also bei fünf Leuten. Das ist bei uns eine ziemlich kleine Familie. Da gucken die Leute noch und sagen: „Ah, nur drei Kinder. Hast du keinen Bock mehr gehabt?“ (lacht). Ich weiß gar nicht, ob man das unbedingt so unterscheiden muss, aber für mich bietet sich der Clanbegriff deshalb an, weil man von einer sehr großen Verwandtschaft spricht, die sich irgendwie auf Urgroßväter bezieht. Wenn ich dir jetzt sagen würde: „Hey, das ist mein Cousin und wir sind voll nah miteinander“, dann denkst du: „Ah, okay, das ist der Sohn des Bruders vom Vater beispielsweise.“ Nee, unsere Urgroßväter waren Brüder. Diese Nachkommenschaft ist einfach so viel nachvollziehbarer. Ich werde immer noch mit dem Namen meines Urgroßvaters gerufen, obwohl ich den nie kennengelernt habe. Aber das ist greifbar für mich, emotional.

Maryam Kirchmann:

Ich glaube, es ist klar geworden, dass ein Clan etwas größeres ist als eine Großfamilie oder man sagen könnte, eine Großfamilie könnte auch eine Kernfamilie sein. Habe ich dich richtig verstanden?

Mohamed Chahrour:

Genau.

Maryam Kirchmann:

Trotzdem ist ja der Begriff „Clan“, zumindest hier in Deutschland und vielleicht auch insbesondere in Berlin, super negativ geprägt und was ich aus eurem Podcast verstanden habe, ist, dass es euch wichtig war zu sagen, dass Menschen, die aus einem sogenannten „Clan“ kommen, auf jeden Fall auf gesellschaftlicher Ebene von Diskriminierung betroffen sind. Ich habe mich gefragt, was es denn eigentlich mit Jugendlichen macht, nie als normal angesehen zu werden?

Mohamed Chahrour:

Ich finde das ein bisschen schwierig, weil wir von Jugendlichen erwarten, dass sie so reflektiert sind wie erwachsene Personen. Aber wenn ich als Jugendlicher immer und immer wieder die Tür vor der Nase zugeknallt bekomme, dann gehe ich zu der Tür, die immer offensteht. Und leider steht die Tür der Straße immer offen und auch wenn sie mal nicht offensteht, ist die Türklinke unfassbar leicht zu erreichen.

Marcus Staiger:

Ich glaube die Frage, die du gestellt hast, geht ein bisschen über dieses Clan-Thema hinaus. Wenn du Menschen immer damit begegnest, dass du sie in ein Kollektiv steckst, tut das den Leuten einfach nicht gut. Ich habe auch Interviews mit jüdischen Menschen geführt und die meinten: „Ein Jude ist man nicht, zum Juden wird man gemacht.“ Das heißt, dass der Blick von außen dich quasi zu etwas macht und ich habe gerade in letzter Zeit auch wieder sehr viel über das Thema Sexismus nachgedacht. Das, was Frauen mit am meisten ankotzt an Männern ist, dass man sie nicht mehr als Person wahrnimmt, sondern denkt, „das Mäuschen“ oder „die Frau“. Das ist eine Abwertung, die kann jeder nachvollziehen. Auch, wenn ich in einen Raum komme und immer nur als „der Deutsche“, der „typisch deutsche“ Sachen macht, wahrgenommen werde, kotzt es einen an, weil man ja eine eigenständige Persönlichkeit sein möchte. Man fragt sich: Warum siehst du das nicht? Und das trifft wahrscheinlich auch teilweise in Schulen oder auf Lehrkräfte zu, wenn immer dieser Blick da ist. Selbst wenn das noch so freundlich vermittelt wird: „So schön, dass du da bist.“ Was heißt denn das, „So schön, dass du da bist?“ Warum?

Maryam Kirchmann:

Man ist nie unsichtbar.

Marcus Staiger:

Ja, genau. Weil ich schwarze Haare habe, ist es schön, dass ich da bin oder weil ich Schwarz bin, ist es schön, dass ich da bin? Nein, es ist doch cool, dass ICH da bin. Das schwingt aber so mit in diesem Blick und das ist glaube ich das, was die Leute wirklich kaputt und renitent macht und dann kommt noch das dazu, was Mohamed gerade gesagt hat, dann tappt man selbst in diese Stereotypen-Falle und sagt: „Dann bin ich halt so.“

Maryam Kirchmann:

Ich hatte ja schon die Ehre, Auszüge aus eurem Buch lesen zu dürfen und das, was mir da ganz besonders aufgefallen ist, ist dieser Kreislauf, diese Spirale von Frustration, Ablehnung, Perspektivlosigkeit, aber dann auch der Wunsch, trotzdem dazuzugehören, den Jugendliche so oder so in sich tragen. Ich kann mir vorstellen, dass das besonders Jugendliche, die aus armen Familien oder aus Familien kommen, die als Clans markiert werden, immer wieder haben. Meine Frage ist: Wie kommt man denn da raus? Welchen Beitrag können zum Beispiel Schule oder pädagogische Fachkräfte leisten, um Jugendliche zu unterstützen, ohne, wie du sagst, wieder in diese Stigmatisierung zu kommen und zu sagen: „Ach, schön, dass du da bist.“

Marcus Staiger:

Eine Gesellschaft, in der es immer nur darauf ankommt, dass man sich gegen einen Anderen durchsetzt, wird solche Mechanismen meiner Meinung nach am Leben erhalten. Die Schule ist ein Ort, der das abmildern kann, die Jugendsozialarbeiter dürfen die Scherben aufkehren, die dürfen die Jugendlichen zusammenflicken, sodass sie nicht die ganze Zeit ausrasten, aber das ist dann auch alles, was sie leisten können. So, jetzt reden wir aber mal positiv! Klar, die Menschen ernst nehmen und ihnen vernünftige Tätigkeiten anbieten, sodass sie etwas zum Gelingen der Gesellschaft beitragen können. Demokratisierung ist wichtig, dass wir Mitspracherechte und Mitspracheforen schaffen, wo Leute sich engagieren können und ihr Wort auch gehört wird. Dass hier in Berlin ein Volksentscheid stattfindet, wo sich 60 Prozent der Leute für eine Enteignung von großen Firmen und von Wohnungsbaugesellschaften aussprechen und dann eine SPD-Bürgermeisterin kommt und das in die Kommission verfrachtet, wo das Ding jetzt im nächsten Jahr stirbt und niemanden mehr juckt, führt dazu, dass ich mich als Bürger verarscht fühle. Dann fragt mich doch nicht. Dann macht doch diese Sch…Volksentscheide nicht. Sorry.

Maryam Kirchmann:

Ja, ich finde, dass diese ganzen individuellen Lebensgeschichten in der Schule gar nicht so richtig Raum finden. Das betrifft nicht nur marginalisierte Personen, sondern Schüler*innen generell, dass häufig der Background, egal welcher das auch ist, einfach gar nicht gesehen wird.

Mohamed Chahrour:

Das Individuum an sich ja nicht.

Maryam Kirchmann:

Genau. Das heißt, wenn man Schmerz oder Traumata mit in die Schule bringt, muss man trotzdem versuchen, zu funktionieren.

Mohamed Chahrour:

Ich meine, selbst wenn man sich das Oberflächliche anguckt: Es gibt ja dieses Meme „Wie Schule funktioniert“. Darauf sieht man einen Lehrer, der sagt: „Damit es gerecht zugeht, bekommt ihr alle die gleiche Prüfungsaufgabe: Klettert auf diesen Baum.“ Auf dem Bild sieht man dann, dass die Klasse aus einem Affen, einem Huhn und einem Goldfisch besteht. Es geht nicht darum, dass geschaut wird: „Was sind deine Stärken? Lass uns mal schauen, worin du richtig gut bist und dann bereiten wir dich auf ein Leben vor, in dem du damit arbeiten kannst“, sondern es wird dir andauernd gesagt: „Du bist ein Versager, weil du nicht das kannst, was Mahmoud machen kann oder was Sybille macht.“ Das ist, glaube ich, für viele eine sehr frustrierende Erfahrung. Schule kann eine sehr frustrierende Erfahrung für Menschen sein.

Maryam Kirchmann:

Das glaube ich auch, vor allem, weil man sich in der Pubertät in einem Alter befindet, in dem man eine Identität sucht oder auch mehrere Identitäten immer wieder mal ausprobiert. Um mal wieder den Bogen zurück zum Thema zu spannen: Wenn man dieser Stigmatisierung ausgesetzt ist, weil man Clan XY angehört, dann hat man ja ein paar Wahlmöglichkeiten. Entweder eignet man sich diese Identität an und lebt sie vollkommen oder man lehnt sie eben ab. Ich habe mich in der Vorbereitung mit einer befreundeten Sozialarbeiterin unterhalten, die gesagt hat, dass sie natürlich sieht, dass ein Großteil der Jugendlichen diese Stigmatisierung erfahren, aber dass es eben auch einige gibt, die sagen: „Weißt du eigentlich mit wem du hier redest?!“

Mohamed Chahrour:

Ich war da auch ein bisschen so. Wenn da aber ein Sozialarbeiter gekommen ist und gesagt hat: „Setz dich und erzähl mir mal, mit wem ich hier rede, erzähl mal ein bisschen von dir“ und wenn er wirklich das Gespräch gesucht und nicht so autoritär reagiert hat mit: „Was heißt hier mit wem ich rede, du bist 11 Jahre alt!“, dann bleiben einem solche Gespräche im Gedächtnis und an die erinnert man sich auch eine ganze Weile. Natürlich bin ich gerade mal 11 oder 12 Jahre alt und voll der Trottel, dass ich das sage, aber ich bin ein Kind und ich darf ein Trottel sein. Ich glaube, das Gespräch zu suchen, ist am allerbesten.

Maryam Kirchmann:

Ja, ich glaube, da kommt es wieder zu einer Wechselwirkung zwischen dieser Stigmatisierung, diesem Generalverdacht, der irgendwie im Raum steht, und dem persönlichen Angriff, den pädagogische Fachkräfte vielleicht im Alltag erleben, weil sie in der Arbeit mit Jugendlichen sowieso Mikro-Aggressionen und Provokation ausgesetzt sind.

Mohamed Chahrour:

Ja.

Marcus Staiger:

Ja, klar.

Maryam Kirchmann:

Wir sagen bei Ufuq.de immer, dass man unterscheiden sollte zwischen Provokation, Protest und Propaganda. Wir plädieren dafür, eine Provokation auch als Provokation wahrzunehmen.

Marcus Staiger:

Um jetzt einmal eine Lanze für die Lehrer*innen heute zu brechen: Es hat sich, glaube ich, auch schon viel verändert. Ich hoffe, dass sich viel verändert hat. Meine Schwester war selber Lehrerin an einer Problemschule in Stuttgart und meinte, die Hälfte ihrer Arbeit sei Sozialarbeit. Sie muss die Leute erst einmal fit machen, um dann später mit dem Unterricht beginnen zu können.

Maryam Kirchmann:

Am Ende ist es ja so, dass wahnsinnig viele Vorurteile im Raum stehen, wenn wir über Clans, Kleinkriminalität, Großfamilien, Rassismus und alles Mögliche sprechen. Wer trägt denn eurer Meinung nach die Verantwortung dafür, diese aufzubrechen beziehungsweise ihnen entgegenzuwirken?

Mohamed Chahrour:

Einen Satz, den ich von Marcus kenne, kann man hierauf auch anwenden. Er hat mal gesagt, Feminismus sei keine Sache der Frauen, sondern eine Sache der Männer. Es liege in der Verantwortung derer, die Scheiße bauen und nicht derer, die scheiße behandelt werden. Und genauso kann man das auf Rassismus ummünzen. Wir hatten in der letzten Folge vom Podcast über diese Sache gesprochen, die immer von uns verlangt wird: „Distanziert euch.“ Aber wenn man sich von einem Problem distanziert und ihm den Rücken kehrt, dann löst man das Problem nicht. Es ist da, aber man sieht es sich nicht mehr an und das Problem, das wir heute haben, dass es kriminelle Familienmitglieder bei uns gibt…

Maryam Kirchmann:

Ja, aber nicht nur bei euch, das ist ja genau das Thema.

Mohamed Chahrour:

Ja, aber ich versuche, nicht von diesem Thema weg zu rudern. Wir können gerne mit der Lupe auf unsere Familie gucken und ganz genau auf die Familie Chahrour schauen. Das stört mich nicht. Dass es in meiner Familie beispielsweise kriminelle Leute gibt, liegt doch auch daran, dass sich die deutsche Gesellschaft ganz zu Anfang von uns distanziert, uns den Rücken gekehrt und uns keinen Zugang zu Bildung, Kultur und der Gesellschaft gegeben hat und wir können uns doch dann darauf einigen, dass sich zu distanzieren kein fruchtbarer Boden ist für eine funktionierende Gesellschaft, in der alle dazugehören.

Marcus Staiger:

Wenn du jetzt von Akteuren sprichst oder davon, welche Akteure denn dafür verantwortlich sind, dann haben wir ja im Endeffekt drei Akteure benannt in unserem Buch und auch im Podcast und das sind Politik, Medien und Polizei. Das sind die Akteure, die halt einfach auch mal einen Schritt zurückgehen müssten. Also zu Politik fällt mir dieses Beispiel ein von Buschkowski, der in einem Bild-Podcast zum Thema Clankriminalität sagt: „Ich als Bürgermeister bin ja auch öfter von Jugendlichen angesprochen worden und die wollten mir helfen und haben gesagt, wenn ich Hilfe brauche, soll ich sie anrufen. Habe ich natürlich nie gemacht. Habe ich immer so weg gelacht, aber ich wurde auch zum Tee eingeladen und das habe ich natürlich auch nie angenommen.“ Da stelle ich mir schon die Frage: Warum nimmst du als Bürgermeister diese Einladung zum Tee nicht an? Von jedem Kleintierzüchterverein wirst du zum Bier eingeladen und gehst natürlich dorthin. Was ist denn Tee, dass er mehr Bestechung ist als das Bier beim Kleintierzüchterverein?

Maryam Kirchmann:

Das, was ich auf jeden Fall aus diesem Gespräch mitnehme, ist, dass es noch wahnsinnig viel zu tun gibt. Dass wir eigentlich immer noch auf solche Schlagzeilen reagieren und unter Generalverdacht stellen und alle über Kriminalität reden wollen und irgendwie ist das ja auch so ein attraktives Thema, wenn man sich Serien wie Vier Blocks anguckt. Da ist noch viel zu tun. Es wäre toll, wenn wir eine Lösung für alle Probleme in der Gesellschaft hätten, aber vielleicht müssen wir auch hier den Schlussstrich ziehen.

Marcus Staiger:

Eine hoffnungsvolle Sache möchte ich schon noch gerne sagen. In privaten Begegnungen, wenn die Leute miteinander in Kontakt kommen, obwohl sie nicht miteinander reden, ist meistens alles nicht ganz so schlimm. Und auch der größte – ich mache es jetzt ganz plakativ – der größte Nazi hat seinen „Lieblings-Ali“ bei dem er Döner isst und über den er sagt: „Der ist ja ganz anders.“ Aber warum? Jeder ist ganz anders als die anderen und das ist die Keimzelle von dem, was gute Verständigung dann vielleicht sein könnte. Mal einen Tee trinken gehen als Bürgermeister.

Maryam Kirchmann:

Das wäre mal was.

Marcus Staiger:

Nicht immer nur das Bier.

Maryam Kirchmann:

Wann kommt denn euer Buch?

Marcus Staiger:

Ende Oktober.

Maryam Kirchmann:

Das heißt, wenn Sie, liebe Zuschauer*innen, mehr drüber erfahren wollen, würde ich ganz stark empfehlen, dieses Buch zu lesen, aber auch den Podcast Clanland zu hören. Vielen Dank, dass ihr heute dabei wart.

Marcus Staiger:

Vielen Dank, dass wir hier sein durften.

Mohamed Chahrour:

Das Buch wird „Dakhil – Inside arabische Clans“ heißen und erscheint über den Ghost Verlag. Ich wollte es nur nochmal kurz sagen.

Marcus Staiger:

Vielen Dank, dass wir hier sein durften.

Mohamed Chahrour:

Vielen, vielen Dank. Danke für eure Zeit, danke für eure Gastfreundschaft. Danke für das Gespräch.

Maryam Kirchmann:

Vielen Dank, dass ihr da wart und vielen Dank, dass Sie zugeschaut haben, beim ufuq.de Couch Talk. Bis zum nächsten Mal.

GEFÖRDERT VON
Die Beiträge im Portal dieser Webseite erscheinen als Angebot von ufuq.de im Rahmen des Kompetenznetzwerkes „Islamistischer Extremismus“ (KN:IX)
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