Chancengleichheit von Auszubildenden im Gastgewerbe: Perspektiven auf (Un-)Gleichbehandlung und die AGG-Reform
6. März 2024 | Demokratie und Partizipation, Projekt DDD

Symbolbild; Bild: CA Creative/ Unsplash

Im Rahmen einer Workshop-Reihe an der Brillat-Savarin-Schule (OSZ Gastgewerbe) in Berlin konnte sich das Team des ufuq.de-Projekts „DDD – Gegen Diskriminierung, für Demokratie und Diversität in Berliner Betrieben“ mit rund 200 Auszubildenden über Herausforderungen, Konflikte und Diskriminierung innerhalb des Ausbildungsalltags austauschen und über Lösungsansätze nachdenken. Die gesammelten Erkenntnisse werden nun vor dem Hintergrund der geforderten Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ausgewertet.

Im Mittelpunkt der im Juni 2023 durchgeführten Workshops standen Fragen rund um Konflikte im Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit sowie Diskriminierung und sonstigen Herausforderungen in der betrieblichen Ausbildungspraxis. In Gesprächen mit den Berufsschüler*innen wurde deutlich, dass viele der genannten Probleme nicht an einzelne Betriebe gekoppelt sind, sondern durch strukturelle Missstände begünstigt werden. Aus den zusammengetragenen Aussagen der Berufsschüler*innen konnten vier wesentliche Herausforderungen identifiziert werden, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.

1. Umgang mit Sexismus und übergriffigem Verhalten

Meldungen von Auszubildenden aller Geschlechter von sowohl beobachtetem als auch selbst erfahrenem sexistischem und übergriffigem Verhalten seitens der Kolleg*innen und Kund*innen werden in vielen Betrieben von Vorgesetzten als Normalität abgetan. Anstatt Vorgesetze über solche Vorfälle zu informieren und Schutz/Beistand einzufordern, neigen viele Auszubildende dazu, solche Vorfälle zu verschweigen, um potenzielle Konfrontationen zu vermeiden. Begünstigt wird das Schweigen Betroffener zusätzlich durch fehlenden Widerspruch und Unterstützung seitens Kolleg*innen oder Kund*innen im Falle von sexistischer Belästigung. Das Resultat ist, dass Betroffene von sexistischer Diskriminierung die Missstände nicht offen ansprechen und das Problem dauerhaft unsichtbar bleibt.

2. Hierarchisierung der Ausbildungsberufe

Eine weitere Herausforderung, die von den Auszubildenden in den Workshops adressiert wurde, ist die Hierarchisierung der Ausbildungsberufe. Erhalten Auszubildende mit unterschiedlichen Ausbildungsberufen innerhalb derselben Branche nicht die gleiche Qualität der Anleitung und Unterstützung bzw. Zuwendung durch die Ausbilder*innen, kann dies ein Indiz für strukturelle Diskriminierung innerhalb des Ausbildungssystems sein. Insbesondere Auszubildende im Bereich Hotelfach berichteten von schlechteren Arbeitsbedingungen im Vergleich zu kaufmännischen Ausbildungen in derselben Branche. Dies äußere sich in längeren Arbeitszeiten, unzureichender Anleitung und dem Gefühl, in den ausbildungsbezogenen Interessen nicht ernst genommen zu werden. Solche Erfahrungen können zu geringerer Motivation und letztlich zu einer fehlenden Lernkurve der Auszubildenden führen. So ziehen einige Berufsschüler*innen aufgrund der beschriebenen Missstände einen Abbruch der Ausbildung in Betracht:

Wir sind hier Menschen zweiter Klasse, keiner kümmert sich um uns. Kein Wunder, wenn niemand hier Ausbildung machen will oder aufhört. Bei Hotelkauf haben sie sogar richtige Betreuung und sie dürfen früher gehen. – Auszubildende im Bereich Hotelfach

3. Generationenkonflikte und Adultismus am Arbeitsplatz

Neben Sexismus und Klassismus scheint auch das Thema Altersdiskriminierung bzw. Adultismus eine Rolle am Arbeitsplatz zu spielen. So berichten Auszubildende von Konflikten zwischen vorwiegend jungen Mitarbeiter*innen und älteren Vorgesetzen und Kolleg*innen, die sich auf die Arbeitsmoral beziehen. Während ältere Generationen dazu neigen, die Selbstaufopferung für den Betrieb als eine Tugend zu betrachten, pochen jüngere Auszubildende vermehrt auf die Einhaltung vertraglicher Regelungen und Arbeitszeitvereinbarungen. Diese gegensätzlichen Ansichten bezüglich der Arbeitsmoral spiegeln eine Kluft wider, die nicht nur auf Altersunterschieden, sondern auch auf unterschiedlichen Werthaltungen und Erwartungen basieren.

Dabei wird das Machtgefälle durch die traditionelle Hierarchie im Hotel- und Gastgewerbe verstärkt, wobei die Vorgesetzten die Autorität und Kontrolle über die Arbeitsbedingungen und -anforderungen haben. Die Auszubildenden fühlen sich teilweise nicht gesehen und beschreiben sich teilweise in einer Position, in der sie kein Mitspracherecht haben und die Einhaltung ihrer Rechte und Vereinbarungen aktiv einfordern müssen.

4. Rassistische Diskriminierung

In den Workshops wurden zudem Fälle rassistischer Diskriminierung angesprochen. Einige rassismuserfahrene Auszubildende berichten von Gäst*innen, die ausdrücklich darauf bestanden, nicht von ihnen bedient zu werden. Der Umgang mit diesen Vorfällen variiert erheblich. Während einige Auszubildende berichten, dass entschlossen gegen derartige rassistische Angriffe vorgegangen wird, erzählten andere von einer unzureichenden Bereitschaft der Vorgesetzten, sich aktiv damit auseinander- und für Betroffene einzusetzen. Die unterschiedlichen Erfahrungen im Umgang mit rassistischen Übergriffen betonen die unmittelbare Dringlichkeit einer Umgebung, die kritisch gegenüber Rassismus und Diskriminierung eingestellt ist, sowie vertrauenswürdiger Ansprechpartner*innen, um diesen Herausforderungen wirkungsvoll zu begegnen.

Die Rolle des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und die AGG-Reform

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) nimmt mit Blick auf die beschriebenen Diskriminierungserfahrungen von Auszubildenden im Hotel- und Gastgewerbe eine entscheidende Rolle ein, denn es soll insbesondere vor Diskriminierung im Arbeitskontext schützen und Personen ein rechtliches Vorgehen gegen Diskriminierung ermöglichen. Laut Aussage der Auszubildenden fehlen jedoch oftmals die gesetzlich vorgeschriebenen AGG-Beschwerdestellen. Bringen Auszubildende Beschwerden gegenüber ihren Vorgesetzten vor, werden diese Beschwerden häufig nicht ernst genommen. In vielen Fällen werden Diskriminierungserfahrungen aber auch gar nicht gemeldet – meist aus Angst, den Ausbildungsplatz zu verlieren. Die Auszubildenden äußerten ein allgemeines Misstrauen gegenüber den bestehenden Instrumenten zum Schutz ihrer Rechte („Azubis haben eh keine Rechte“, Teilnehmer eines Workshops am OSZ Gastgewerbe, 17 Jahre alt). Es wurde mehrfach der Eindruck geäußert, dass die Instrumente des AGG keine effektiven Veränderungen bewirken.

Das seit 2006 bestehende und seitdem nicht mehr angepasste Gesetz ist laut der Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, „eines der schwächsten Antidiskriminierungsgesetze in Europa“ (Antidiskriminierungsstelle des Bundes, 2023). So seien zentrale Merkmale von Personen, beispielweise der soziale Status, die Staatsangehörigkeit oder die familiäre Fürsorgeverantwortung, bisher noch nicht in die Liste der schützenswerten Merkmale aufgenommen worden (ebd.). Vor diesem Hintergrund legte Ataman am 08.07.2023 ein Grundlagenpapier zur Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vor. Dieses fordert die Erweiterung schützenswerter Merkmale, die Ausweitung des Geltungsbereiches auf staatliches Handeln des Bundes sowie die Vereinfachung von Klagemöglichkeiten für Betroffene.

Vorschläge zur AGG-Reform

Wir von DDD und ufuq.de als Träger unterstützen sowohl das Grundlagenpapier zur Reform als auch die Forderungen zur AGG-Reform des Bündnisses „AGG Reform-Jetzt!“ (2023), bestehend aus mittlerweile über 140 zivilgesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Organisationen. Insbesondere in Hinblick auf die Gewährleistung einer diskriminierungsfreien Ausbildung und das Recht auf ein diskriminierungsfreies (Arbeits-)Leben ergeben sich aus unserer Sicht folgende Vorschläge, deren Umsetzung im Zuge der geforderten Reform sinnvoll wäre:

  • Aufgrund zahlreicher Berichte in unseren Workshops über sexistische Übergriffe am Ausbildungsplatz sehen wir die Dringlichkeit einer Erweiterung der rechtlichen Schutzmaßnahmen gegen sexuelle Belästigung im allgemeinen zivilen Rechtsverkehr. Bisher greift das AGG jedoch nicht, wenn Beschäftigte von Klient*innen, Kund*innen oder Patient*innen sexuelle Belästigung erfahren. Wir unterstützen daher die Forderung, diese Beschränkungen aufzuheben und jede sexuelle Belästigung, die am Arbeitsplatz erfahren wird, in den Geltungsbereich des AGG auszuweiten.
  • Als weiteren wichtigen Reformvorschlag betonen wir die aus unserer Sicht notwendige Entwicklung eines konkreten Beschwerdeverfahrens oder einer Verfahrensordnung als Mindeststandard für innerbetriebliche Beschwerdestellen durch den Gesetzgeber. Darüber hinaus halten wir eine Ausweitung der Beweislastumkehr für sinnvoll, sodass im Falle einer Diskriminierungsklage die Beweislast vom Kläger auf den Beklagten übergeht. Dies bedeutet, dass nicht der Kläger die Diskriminierung beweisen muss, sondern der Beklagte nachweisen muss, dass keine Diskriminierung stattgefunden hat. Die Einführung von kollektivem Rechtsschutz, Verbandsklagen und die Schaffung eines Rechtshilfefonds zur Verringerung der Kosten und Hürden für individuelle Klagen könnten außerdem insbesondere Auszubildenden helfen, rechtlich gegen Diskriminierung vorzugehen.
  • Wir befürworten außerdem die Forderung nach einer Erweiterung der Diskriminierungskategorien um zusätzliche Merkmale wie sozialer Status oder Sprache . Wie die Ergebnisse unserer Workshopauswertungen zeigen, sind diese Merkmale auch im Ausbildungskontext relevant.

Sexismus, Rassismus, Klassismus, Altersdiskriminierung und weitere Formen von Diskriminierung sind gravierende Probleme, die angegangen werden müssen. Eine AGG-Reform würde nicht nur Auszubildenden zugutekommen, indem ihr Recht auf Diskriminierungsfreiheit gestärkt werden würde, sondern auch die Attraktivität der Branche erhöhen und somit dem Fachkräftemangel entgegenwirken.

Quellen

Antidiskriminierungsstelle des Bundes (19.07.2023): Antidiskriminierungsbeauftragte legt Grundlagenpapier zur AGG-Reform vor. Zuletzt aufgerufen am 31.10.23.

Bündnis AGG-Reform-Jetzt! (2023): Mehr Fortschritt wagen heißt auch mehr Antidiskriminierung wagen! Zentrale Aspekte zur Stärkung des rechtlichen Diskriminierungsschutzes. Die 11 wichtigsten Änderungsforderungen zur AGG Reform aus zivilgesellschaftlicher Sicht. Zuletzt aufgerufen am 31.10.23.

Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung (08.07.2023): Vielfalt, Respekt, Antidiskriminierung. Grundlagenpapier zur Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Zuletzt aufgerufen am 31.10.23.

 

Bildnachweis: © Caroline Attwood/ Titel: „Ein paar Leute sitzen an einem Tisch in einem Raum“/ unsplash.com

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