Berliner Schulen haben keine gute Presse. ufuq.de-Mitarbeiter Pierre Asisi berichtet über ein Projekt, das für das Positive in der Berliner Bildungslandschaft steht: Das „Oberstufenforum Religion & Politik“ der Walter Gropius-Schule in Berlin-Neukölln bietet interessierten Schüler*innen abseits des Unterrichts die Möglichkeit, mit Expert*innen aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft über drängende gesellschaftspolitische Fragen ins Gespräch zu kommen.
Wer in Berlin unterrichtet oder gar eine Schule leitet, steht vor großen Herausforderungen. Gerade deshalb darf man die positiven Erfahrungen nicht aus den Augen verlieren. Vieles läuft nämlich gut, nur geht das in der Öffentlichkeit allzu oft unter. Das „Oberstufenforum Religion & Politik“ der Walter Gropius-Schule (WGS) ist ein Beispiel dafür, was gut läuft – und was inspiriert und Mut macht. Mit ihrem Ansatz schaffen es die Organisator*innen immer wieder, auch Prominente für die Veranstaltungen zu gewinnen.
Die WGS liegt in der Gropiusstadt im Süden Neuköllns und ist eine Integrierte Sekundarschule mit Ganztagsbetrieb. Seit 2018 organisieren die beiden Lehrer Kemal Akgül und Goran Subotic das sogenannte Oberstufenforum Religion & Politik für die Schüler*innen der Abiturklasse. Die Teilnahme ist freiwillig und findet außerhalb der Schulstunden in der Freizeit der Jugendlichen statt. Die Schüler*innen haben bei der Wahl des Themas das Sagen.
Für das erste Oberstufenforum 2018 wählten die Schüler*innen das Thema „antimuslimischer Rassismus“ – ein Thema mit hoher Brisanz in Neukölln, das in den vergangenen Jahren von einer rechtsterroristischen Anschlagsserie heimgesucht wurde. Über das Schuljahr hinweg trafen sich die Jugendlichen regelmäßig und bereiteten eine Podiumsdiskussion vor. Unter dem Motto „Yallah! Was tun gegen Rechtspopulismus und antimuslimischen Rassismus?“ tauschten sich schließlich Saraya Gomis, damalige Antidiskriminierungsbeauftragte der Berliner Schulen, Burhan Kesici, Generalsekretär des Islamrates, der Journalist Daniel Bax und Younes Al-Amayra vom Youtube-Kanal Datteltäter darüber aus, was mit dem Begriff „antimuslimischer Rassismus“ genau gemeint ist, wieso dies nicht nur ein Problem für Muslim*innen ist und was dagegen getan werden kann.
Im folgenden Jahr ging es um das umstrittene „Neutralitätsgesetz“ in Berlin, das – entgegen einem Urteil des Verfassungsgerichts – nach wie vor Frauen, die ein Kopftuch tragen, pauschal die Arbeit als Lehrerin an allgemeinbildenden Schulen verbietet. Auch hier war das Podium erstaunlich prominent besetzt: Das Für und Wider dieses Gesetzes diskutierten der Justizsenator Dirk Behrendt, die Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan, die durch ihren unaufgeregten Widerspruch gegen Thilo Sarrazins Thesen deutschlandweit bekannt geworden ist, der Neuköllner Bezirksbürgermeister Martin Hikel sowie die Lehrerin Fereshta Ludin, die Ende der 1990er Jahre als Erste vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die diskriminierende Praxis geklagt hatte. Die humoristische Eröffnung der Veranstaltung besorgte die YouTuberin Esra Karakaya.
Im laufenden Schuljahr verhinderte die Covid-19-Pandemie die krönende Veranstaltung des Oberstufenforums, stattdessen fanden eine Reihe öffentlicher Webtalks statt, in denen erneut bekannte Persönlichkeiten Rede und Antwort standen. Thematisch ging es um die Geschichte der „Gastarbeiter*innen“ und „Klassismus“ – also insbesondere um Diskriminierungen aufgrund der tatsächlichen oder zugeschriebenen sozialen Herkunft.
Auch hier zeigte sich, dass es für die erprobten Sprecher*innen keine einfache Aufgabe ist, die eigenen Aussagen möglichst verständlich zu formulieren – trotzdem stellte sich bislang immer ein positives Gefühl nach den Gesprächen ein: Für die moderierenden Jugendlichen ist es ein besonderes Erfolgserlebnis, alle anderen können zu Wort kommen und werden ernst genommen. Zudem taugen die eingeladenen Personen – etwa die Berliner SPD-Politikerin Sawsan Chebli – als Role Model. Chebli sprach über ihre Biografie, mit der sich viele der Jugendlichen identifizieren können. Die Jugendlichen spüren eine Wertschätzung sowohl aufgrund der selbstbestimmten Auswahl der Themen als auch durch die eingeladenen Personen, die trotz der kontroversen Themen Perspektiven formulieren, die zukunftsweisend für die gleichberechtigte Teilhabe in einer diversen Gesellschaft sind. Schließlich werden auch ganz konkret wichtiges Wissen, Selbstvertrauen und Fähigkeiten vermittelt, von denen die Jugendlichen später profitieren können.
Natürlich lässt sich dieses Format nicht an allen Schulen umsetzen. Trotzdem bietet es zahlreiche Anregungen, um ähnliches auch in anderen Schulen anzubieten – schließlich finden sich in jeder Nachbarschaft Aktivist*innen, Politiker*innen und auch „gewöhnliche Mitbürger*innen“, die zu den Themen, die die Jugendlichen interessieren, etwas zu sagen haben und gleichzeitig als Vorbild dienen können.
Es läuft also bei weitem nicht alles schlecht an den Berliner Schulen. Wir sind gespannt auf die nächste Runde der Oberstufenforums!
„Das Oberstufenforum ist eine Möglichkeit, seinen Blick zu erweitern und Dinge anders betrachten zu können. Wir haben z.B. zur Geschichte der ‚Gastarbeiter*innen‘ im Westen und der Vertragsarbeiter*innen im Osten unterschiedlichste Menschen aus den unterschiedlichsten Communities kennen gelernt. Zu hören, wie ihr Werdegang verlaufen ist, was sie empowert hat und wofür sie gekämpft haben, ist eine neue Möglichkeit, über eine Geschichte zu lernen, die im Unterricht nicht vorkommt.“
– Mohammad Chawli, Schüler und Moderator des Oberstufenforums
„An dem Oberstufenforum nehme ich teil, weil ich so am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann, indem ich mich mit spannenden Gästen austausche und von ihnen lernen kann. So bekomme ich die Möglichkeit, andere Sichtweisen kennenzulernen und bestenfalls neue Kontakte zu knüpfen, die mich in meinem Leben bereichern.“
– Suna Samar, Schülerin und Moderatorin des Oberstufenforum
„Das Oberstufenforum Religion & Politik ist einzigartig. Ich finde die Möglichkeit toll, mit hochkarätigen Personen in einen Austausch zu kommen, sei es mit Nachkommen von „Gastarbeiter*innen“ oder mit Expert*innen über Themen wie Klassismus und Rassismus zu sprechen. Wenn man* Interesse an wichtigen Themen für unsere heutige Generation hat, bietet das Oberstufenforum eine super Plattform.“
– Paul Adumako, Schüler und Moderator des Oberstufenforums
Kontaktanfragen zu dem Oberstufenforum richten Sie bitte an:
Kemal Akgül
akguel.kemal@wgs-berlin.info
Subotic Goran
subotic.goran@wgs-berlin.info