In einer Arbeitswelt, die von hierarchischen Strukturen geprägt ist, prallen häufig Interessen aufeinander. Immer wieder kommt es zu Auseinandersetzungen und Kämpfen um Mitsprache und Gerechtigkeit. Wie kann gerade an solchen Orten Demokratiekompetenz vermittelt und ein Klima von Solidarität und Miteinander gefördert werden? Dieser Frage widmet sich das Projekt „DDD – Gegen Diskriminierung, für Demokratie und Diversität in Berliner Betrieben“, das Weiterbildungen und Workshops für Betriebsrät*innen und Berufsschüler*innen anbietet. Projektleiter Christian Kautz gibt im Interview einen Einblick in die Weiterbildungsangebote des Projektes, verweist auf Grenzen des Sag- und Machbaren und stellt Handlungsmöglichkeiten bei erlebter oder beobachteter Diskriminierung vor.
Thy Le (ufuq.de):
Euer Projekt genießt unter den ufuq.de-Projekten ein Alleinstellungsmerkmal, da ihr euch an Erwachsene in Betrieben und Berufsschulen wendet. Warum braucht es Demokratieförderung in Betrieben?
Christian Kautz:
Seit Jahren anhaltende ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Krisen bieten einen fruchtbaren Nährboden für Demokratiefeindlichkeit und Verschwörungserzählungen – sowohl im privaten Bereich als auch in der Arbeitswelt. Die Ergebnisse der Leipziger Autoritarismus-Studie von 2020 zeigen, dass am Arbeitsplatz gemachte Erfahrungen von Partizipation, Anerkennung und Solidarität sich spürbar positiv auf die Einstellung zur Demokratie auswirken und der Attraktivität antidemokratischer Ansprachen entgegenwirken. Für uns also Grund genug, das Thema Demokratieförderung in Betrieben anzugehen.
Thy Le:
Was ist das Besondere an betrieblichen Kontexten?
Christian Kautz:
Eine gute Frage: Auch wir stellen uns im Rahmen unserer Arbeit die Frage, wie Demokratiekompetenz an Orten vermittelt werden kann, die an sich nicht demokratisch aufgebaut sind. Die Arbeitswelt gehört zu diesen Orten. Dabei gehen wir, wie auch Gewerkschaften, von einem sogenannten Interessensgegensatz aus. Auf der einen Seite stehen die Unternehmen, welche wirtschaftliche Interessen verfolgen und Entscheidungen daher nicht nach demokratischen, sondern nach ökonomischen Kriterien treffen. Auf der anderen Seite stehen die Beschäftigten, die über betriebliche Mitbestimmungsmöglichkeiten ihre eigenen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Interessen vertreten können. Durch die Förderung der betrieblichen Demokratiekompetenz können die Beschäftigten sich besser in betriebliche Entscheidungsprozesse einbringen. Über einen gemeinsamen Austausch zu Erfahrungen von Partizipation, Anerkennung und Solidarität möchten wir die Interessenvertretungen von Beschäftigten sowie Berufsschüler*innen in ihrer Handlungsfähigkeit stärken. Hierbei spielt immer wieder eine große Rolle, was sag- und machbar ist, was allein geschafft werden kann und an welchen Stellen Unterstützung benötigt wird.
Thy Le:
Wie versteht ihr Demokratie?
Christian Kautz:
Wir gehen von der Frage aus, was an Demokratie wichtig ist. Sind es die Wahlen oder die Vorstellung, dass von uns gewählte Repräsentant*innen sich für unsere Belange einsetzen? Sind es die Grundrechte und Grundfreiheiten, die unsere Verfassung garantiert, wie z.B. Meinungs- und Versammlungsfreiheit und Gleichheit vor dem Gesetz? Oder geht es vielleicht doch „um etwas schwerer zu Fassendes“, wie der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller schreibt, „wie kollektive Einstellungen, zum Beispiel, dass die Bürger bereit sind, einander zivilisiert und mit Respekt zu begegnen?“ Für uns ist all das entscheidend: sowohl Grundrechte wie Freiheit und Gleichheit, als auch das respektvolle Miteinander, das den Kern demokratischen Denkens und Handelns ausmacht. Hierzu gehört auch, ein Verständnis von Vielfalt und Pluralität zu fördern sowie Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit in all ihren Formen entgegenzutreten, kurz: sich für Diversität und Anti-Diskriminierung starkzumachen.
Thy Le:
Wo liegen die Grenzen des Sag- und Machbaren?
Christian Kautz:
Die Grenzen des Sag- und Machbaren sind zunächst rechtlich geregelt. Die Meinungsfreiheit ist eines der wichtigsten Grundrechte unserer Verfassung, kann jedoch durch andere Gesetze eingeschränkt werden. So ist im Grundgesetz die Menschenwürde als unantastbares und ewiges Gut verankert, kein Gesetz kann das ändern. Sobald die Würde eines Menschen gefährdet ist, und dies ist beispielsweise bei Diskriminierung der Fall, wird es strafrechtlich relevant.
Dazu gibt es vieles, was (noch) nicht rechtlich geregelt ist und daher gesellschaftlich ausgehandelt wird. Wenn wir uns die historischen Errungenschaften gewerkschaftlicher und aktivistischer Arbeit anschauen, als Beispiel seien hier die Einführung des bezahlten Arbeitslohns im Krankheitsfall, der bezahlte Urlaub und der gesetzlich verankerte Schutz vor Diskriminierung genannt, wird schnell deutlich, dass das, was aktuell noch durchaus sag- und machbar ist, in einigen Jahren nicht mehr in Ordnung sein kann.
Die Grenzen des Sag- und Machbaren verschieben sich also kontinuierlich. Aktuelle Debatten um Politische Korrektheit und die sogenannte Cancel Culture zeigen zwar, dass dies nicht konfliktfrei geschieht; dennoch wird an dieser Stelle auch der Bedarf sichtbar, sich über diese Thematiken auszutauschen. Diesem Bedarf möchten wir im Rahmen unserer Weiterbildungen nachkommen und bieten Module zu diesem Themenfeld an.
Thy Le:
Wie geht ihr in euren Weiterbildungen und Workshops vor?
Christian Kautz:
Wie bereits kurz angedeutet, sehen wir bei DDD einen engen Zusammenhang zwischen demokratischem Denken und Handeln sowie dem Engagement für mehr Diversität und dem Einsatz gegen Diskriminierung, in der Gesamtgesellschaft wie auch in Betrieben. Unsere modular aufgebauten Weiterbildungsangebote folgen genau dieser Logik, indem sie nicht nur für Diskriminierungsformen sensibilisieren und über demokratiefeindliche Ideologien (wie z.B. Rechtsextremismus und Verschwörungserzählungen) aufklären, sondern die kritische Auseinandersetzung mit Rassismus, Sexismus oder Klassismus (um nur einige Beispiele zu nennen) als Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie erachten. Dies möchten wir über ausgewählte Methoden erreichen, die sich inhaltlich vorrangig an den Themen Demokratie und demokratische Teilhabe, (Un-)Gerechtigkeit, Emotionen, Solidarität und Kommunikation orientieren. Unsere Angebote sind modular aufgebaut und innerhalb der Module zumeist dreiteilig strukturiert: Nach einer thematischen Einführung folgt der Problemaufriss, meist über einen kurzen, vertiefenden Input, der für das jeweilige Thema sensibilisiert. Im dritten Teil erarbeiten wir mit unseren Teilnehmenden konkrete Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit diesen Problemlagen. Hier arbeiten wir viel mit praxisnahen Fallbeispielen und versuchen, so viel gemeinsamen Austausch unter den Teilnehmenden wie möglich anzubieten – denn das ist das, was im betrieblichen Alltag meist unter den Tisch fällt.
Thy Le:
Was kann ich tun, wenn ich im Betrieb Diskriminierung erfahren habe? Oder was kann ich tun, wenn ich Diskriminierung bei Kolleg*innen beobachte?
Christian Kautz:
Aktiv werden, d.h. die erlebten oder beobachteten Diskriminierungen dokumentieren und ansprechen. Wenn die Diskriminierung von einer Kollegin oder einem Kollegen bzw. einer vorgesetzten Person ausgeht, sollte die betroffene Person dies der*dem direkten Vorgesetzten, dem Betriebsrat oder einer HR-Abteilung melden. Diese müssen reagieren, entweder mit Abmahnung, Versetzung oder auch Kündigung der diskriminierenden Person. Größere Unternehmen haben in der Regel interne Anlaufstellen, bei der diskriminierende Vorfälle gemeldet werden können und sich beraten werden kann. Zusätzlich empfehlen wir, wenn möglich, dass Betroffene eine Rechtsberatung in Anspruch nehmen und/oder sich an Anlaufstellen außerhalb des eigenen Betriebs wenden, wie z.B. Gewerkschaften oder die Antidiskriminierungsstellen von Bund und Ländern.
Mir ist an dieser Stelle wichtig zu betonen, auch wenn es eigentlich auf der Hand liegt, dass Diskriminierung am Arbeitsplatz verboten ist und dass Beschäftigte das Recht auf eine sichere und diskriminierungsfreie Arbeitsumgebung haben. Unternehmen müssen Diskriminierung am Arbeitsplatz daher mit geeigneten Maßnahmen unterbinden. Zudem sind Arbeitgeber*innen durch § 1 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) zur Gleichstellung bei den Arbeitsbedingungen, bei der Personalauswahl und bei Stellenausschreibungen angehalten. In schwerwiegenden Fällen kann es notwendig sein, dass Beschäftigte von ihrem Recht auf Leistungsverweigerung Gebrauch machen oder auch eine Klage gegen den Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin einreichen.
Thy Le:
Welche Möglichkeiten empfiehlst du noch, um ein demokratisches Betriebsklima zu ermöglichen?
Christian Kautz:
Du meinst neben Teilhabe, Solidarität und Anerkennung? Zuhören, Widersprüche aushalten, sich Zeit für Konflikte nehmen. Und damit meine ich alle beteiligten Akteur*innen im Betrieb. Insbesondere im alltäglichen Arbeitsstress kann es sinnvoll sein, sich zunächst zurückzunehmen und ein gewisses Verständnis für die andere Perspektive zu erhalten. Das bedeutet nicht, sexistische oder rassistische Äußerungen zu tolerieren, sondern Meinungen und Standpunkte, die sich zwar innerhalb gesetzlicher und gesellschaftlich ausgehandelter Grenzen der Meinungsfreiheit (Sexismus, Rassismus und Antisemitismus befinden sich beispielsweise außerhalb dieser Grenzen) befinden, aber nicht unbedingt meine Ansichten entsprechen, erst einmal zuzulassen. In unseren Weiterbildungen erproben wir diesen methodischen Ansatz, den wir „eingelassene Kommunikation“ nennen und der sich durch alle angebotenen Module zieht. Es erfordert Geduld und Bereitschaft, sich in Konflikten so anzunähern, dass die Interessen und Bedürfnisse aller nicht nur gehört, sondern so gut wie möglich berücksichtigt werden. Und das ist schließlich eines der vielen Ziele einer funktionierenden Demokratie.