Ausstellung Contemporary Muslim Fashions: „Was wir da sehen, ist eine Selbstermächtigung“
13. August 2019 | Gender und Sexualität, Jugendkulturen und Soziale Medien


Die Ausstellung „Contemporary Muslim Fashions“ im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main widmet sich dem Phänomen der zeitgenössischen muslimischen Mode. Es ist die weltweit erste umfassende Museumsausstellung, die sich mit dem Thema „Modest Fashion“ befasst. Die Ausstellung erfuhr breite Aufmerksamkeit über das Feuilleton hinaus, rief aber auch kritische Reaktionen und Protest hervor. Unsere Mitarbeiterin Jawaneh Golesorkh hat mit Dr. Mahret Ifeoma Kupka, die die Ausstellung in Frankfurt koordiniert, über ihre Rezeption gesprochen.

Jawaneh Golesorkh: Frau Dr. Kupka, Sie haben die Ausstellung „Contemporary Muslim Fashions“, die zeitgenössische Mode für Muslim_innen zeigt, gemeinsam mit dem Direktor des Museums Prof. Matthias Wagner K aus San Francisco nach Deutschland geholt. Warum?

Dr. Mahret Kupka: Zeitgenössische muslimische „Modest Fashion“ ist ein weltweites Phänomen, das auch in einem Land wie Deutschland, in dem mehr als 5 Millionen bekennende Muslim_innen leben, Relevanz hat. Das Museum Angewandte Kunst widmet sich in seinen Ausstellungen Alltagsphänomenen und richtet sein Augenmerk auf die sozialen Prozesse, die Bedeutung generieren. Das Thema der Ausstellung passt sehr gut in unser Programm.

Jawaneh Golesorkh: Was waren Reaktionen auf die Ausstellung im Feuilleton, in den Sozialen Medien und vor Ort im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt?

Dr. Mahret Kupka: Im Feuilleton gab es gute Reaktionen von Autor_innen, die genau verstanden haben, worum es uns mit dieser Ausstellung geht: Wir richten den Blick auf ein existierendes Phänomen und ergründen, was da eigentlich genau passiert. Dabei können vielleicht überkommene Stereotype komplett infrage gestellt werden. Leider sind diese durchaus interessanten Beobachtungen und mitunter auch berechtigt kritischen Diskussionen in der Flut aus Ablehnung und Protest fast ein bisschen untergegangen. Noch vor Eröffnung wurde die Ausstellung in vielen Medien allein im Kontext der sogenannten „Kopftuchdebatte“ diskutiert. Die Ausstellung allerdings allein darauf zu beschränken, wird der Komplexität des Themas nicht gerecht.

In den Sozialen Medien waren die Reaktionen zum größten Teil positiv. Es gründete sich sogar ein Hashtag auf Instagram. Unter #modeist zeigten User_innen, was für sie Mode bedeutet und demonstrierten so Solidarität mit der Ausstellung. Darunter waren auch viele kopftuchtragende Musliminnen. Die Besucher_innenzahlen und die Ergebnisse der Befragungen, die wir über den Audioguide durchführen, sind durchweg positiv. Die Besucher_innenstruktur hat sich verändert. Es kommen viele junge Menschen ins Museum und auffallend mehr sichtbare Muslim_innen. Die Reaktionen auf die Ausstellung decken tatsächlich von Dankbarkeit und Freude über interessierte Neugier bis hin zu Hass und Ablehnung alles ab.

Jawaneh Golesorkh: Wie sahen die ablehnenden Reaktionen aus?

Dr. Mahret Kupka: Zum einen gab es Proteste; eine Gruppe Exil-Iraner_innen protestierte angemeldet vor dem Museum und verteilte Flugblätter, um auf die Situation von Frauen im Iran aufmerksam zu machen. Die islamistische Regierung dort zwingt Frauen unter anderem dazu, ihr Haar zu bedecken. Missachtung wird schwer bestraft. Regelungen wie diese betreffen Frauen in einigen Regionen der Welt, eine Tatsache, die auch die Ausstellung nicht verschweigt. Von rechtsextremer Seite erhielten wir Drohbriefe. Die Polizei Frankfurt und der Staatsschutz empfahlen daher umfassende Sicherheitsmaßnahmen.

Jawaneh Golesorkh: Wie wurde die Ausstellung in San Francisco beziehungsweise in den USA rezipiert?

Dr. Mahret Kupka: Wie uns mitgeteilt wurde, war die Reaktion auf die Ausstellung bis auf wenige Ausnahmen in rechtspopulistischen Medien durchweg positiv. Wir mussten die Kurator_innen aus San Francisco vor ihrem Besuch anlässlich der Eröffnung auf den komplexen Diskurs in Deutschland vorbereiten. So kleinteilig und unüberschaubar wie hier ist die Auseinandersetzung in den USA nicht. Das hängt sicher auch mit der Geschichte des Landes und seinem Nationenbegriff zusammen und der Tatsache, dass in den USA Diskussionen um Gender, Race und Identity allgemein längst auf einem anderen Niveau geführt werden.

Jawaneh Golesorkh: Was denken Sie, weshalb einige Menschen hier in Deutschland der Ausstellung ablehnend gegenüberstanden?

Dr. Mahret Kupka: Da gibt es unterschiedlichste Gründe. Den allermeisten gemeinsam ist sicher eine diffuse Angst vor der sogenannten „Islamisierung“, die als pauschale Bedrohung westlicher Werte wie Freiheit und Selbstbestimmung wahrgenommen wird. Die Menschen projizieren all das auf ein Stück Stoff, das zum Symbol für alles wird, was sie ablehnen. Hinzu kommt zumeist die Grundhaltung, dass der Islam nicht zu Deutschland, das als in der christlich-jüdischen Tradition stehend interpretiert wird, gehöre. Das bedeutet, dass alles, was mit muslimischen Lebensformen in Zusammenhang steht, bestenfalls in einem ethnologischen Museum als Erkundung des Fremden, Anderen stattfinden darf, aber nicht in einem Museum, das sich mit Deutschland beschäftigt. Da schwappt ein ganz alter Diskurs an die Oberfläche.

Jawaneh Golesorkh: Die Ausstellung widmet sich dem Thema „Modest Fashion“. Was bedeutet das und weshalb liegt der Fokus der Ausstellung auf Frauenmode?

Dr. Mahret Kupka: „Modest“ im Kontext von Kleidung bedeutet zunächst einmal mehr Stoff. Beine, Arme und Hals sind bedeckt, die Kleidung umspielt den Körper eher als ihn auszustellen. Vorstellungen von „Modest“ Dress betreffen auch Männerkleidung und finden sich ebenso im Christentum und im Judentum wie im Islam. Zur „Fashion“ wird es dann durch das kreative Spiel. Die Macher_innen der Ausstellung haben sich bewusst dafür entschieden, nur Frauenkleidung zu zeigen: Gerade in der westlichen Welt hat sich traditionell die Macht des Mannes über die Beschaffenheit von Frauenmode artikuliert. Je weiter, ausladender und bewegungseinschränkender die Reifröcke waren, desto wohlhabender und einflussreicher das Familienoberhaupt. Es hat immer wieder Ausbrüche aus dieser Dynamik gegeben, Frauen, die selbstbestimmt Mode für sich selbst gestaltet haben. Nichts anderes passiert jetzt auch im Kontext der Modest Fashion. Was wir da sehen, ist eine Selbstermächtigung; viele Kritiker_innen übersehen das und sprechen Musliminnen pauschal Selbstbestimmtheit ab. Selbstermächtigung und die Befreiung aus unterdrückerischen, patriarchalen Strukturen werden dadurch sogar behindert. Ich halte es für besonders wichtig, zwischen Vorschriften zu unterscheiden, die Frauen eine gewisse Art der Kleidung vorgeben und Frauen, die selbstbestimmt eine Form der Kleidung für sich interpretieren.

Jawaneh Golesorkh: Die Ausstellung zeigt muslimische Mode weltweit. Gibt es denn tatsächlich so viele Unterschiede zwischen einer islamisch gekleideten Person in Indonesien, Ägypten oder Deutschland?

Dr. Mahret Kupka: Die Ausstellung zeigt vor allem zeitgenössische Mode, die in den jeweiligen Bekleidungstraditionen der Herkunftsländer ihrer Designer_innen wurzelt. Handwerklich und in der Stoffgestaltung lassen sich durchaus Unterschiede ausmachen, aber auch thematisch. Eine Schwarze Modest-Fashion Designerin aus den USA lässt andere popkulturelle Elemente einfließen als beispielsweise eine indonesische Designerin, die durch koreanische Seifenopern, die in ihrer Kindheit im Fernsehen liefen, inspiriert ist.

Jawaneh Golesorkh: Welche Rolle spielen Soziale Medien für die Verbreitung von Trends?

Dr. Mahret Kupka: Seit der Geburt von Modeblogs 2006 und der steten Entwicklung des Mediums bis hin zu Influencer_innen auf Instagram gibt es keinen schnelleren, einflussreicheren Verbreitungsweg für Trends. Traditionelle Medien wie Printmagazine sind in diesem Kontext längst abgelöst. Soziale Medien sind schneller, zugänglicher, diverser und globaler.

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Video: Trailer zur Ausstellung

 

Die Ausstellung „Contemporary Muslim Fashions“ ist noch bis zum 01.09.2019 im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main zu sehen.

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