Zur Debatte um Homosexualität und Islam: Ende mit dem Versteckspiel!
15. September 2016 | Diversität und Diskriminierung, Gender und Sexualität, Religion und Religiosität

Das Thema Homosexualität im Islam ist heiß umstritten: Während viele Gelehrte und Gläubige Homosexualität für eine Sünde halten, gibt es doch immer mehr Stimmen, die dies anders sehen. Zuletzt veröffentlichten wir hier den Beitrag des Islamwissenschaftlers Muhammad Sameer Murtaza, „Homosexualität im Islam: Menschenwürde muss für alle gelten!“ . Er beklagt, dass homosexuellen Muslim_innen häufig nur drei Möglichkeiten offenstünden: Sie können den Islam verlassen, Sexualität und Religion trennen oder im Stillen leiden. Das wollen Vertreter_innen des Liberal-Islamischen Bundes (LIB) nicht so stehen lassen. Annika Mehmeti (Vorstandsmitglied und Koordinatorin der LIB-Gemeinden), Michael R. Patock (Vorstandsmitglied und Mitglied der Berliner LIB-Gemeinde) und Waqar Tariq (Mitglied der Frankfurter LIB-Gemeinde) sehen noch eine vierte Strategie für homosexuelle Muslim_innen: Nämlich, Homosexualität und Religion offen zu leben. Nur so könne die Menschenwürde der homosexuellen Muslim_innen tatsächlich verwirklicht werden und nur so könne eine Bewusstseinsveränderung bei Muslim_innen allgemein erreicht werden. Mit diesem Beitrag geht die Diskussion in die nächste Runde.

Dieser Beitrag ist eine Replik auf den am 24. August 2016 auf ufuq.de veröffentlichten Debattenbeitrag des Islamwissenschaftlers Muhammad Sameer Murtaza, „Homosexualität im Islam: Menschenwürde muss für alle gelten!“, seitens Mitgliedern des Liberal-Islamischen Bundes (LIB) . Dabei geht es weniger darum, eine theologische Erwiderung zu formulieren (wenngleich hierauf in diesem Beitrag hinsichtlich des Menschenwürdeverständnisses nicht gänzlich verzichtet werden kann). Denn eine ausführliche theologische Positionierung des Liberal-Islamischen Bundes zum Thema „Homosexualität im Islam“ ist auf unserer Website in einem Positionspapier nachlesbar. In unserer Antwort auf den Text von Herrn Murtaza wollen wir uns hingegen auf die praktische Ebene konzentrieren: So gibt es aus unserer Sicht neben den drei Handlungsalternativen, die Herr Murtaza beschreibt, auch noch eine vierte: Nämlich, Homosexualität und Religiosität bewusst offen zu leben, um so die eigene Menschenwürde wahrhaftig zu verwirklichen und eine allgemeine Bewusstseinsveränderung bei Muslim_innen herbeizuführen.
Die Frage, wie der Islam mit Homosexualität umgeht, ist eine Frage, die nicht bloß auf der theologischen Ebene beantwortet werden muss, wenngleich die theologische Ebene sehr wichtig ist. Genauso wichtig ist die praktische Ebene, also der praktische Umgang von Muslim_innen mit Homosexualität im gewöhnlichen Alltag und in den Gemeinden. Denn die praktische Ebene hat nach unserer Erfahrung gravierende Folgen für die seelische Gesundheit von homosexuellen Muslim_innen und unter Umständen auch für deren Leib und Leben (Stichworte: Selbstmorde von homosexuellen Muslim_innen; verbale und/oder physische Gewalt gegen diese im Alltag; oder siehe gar die öffentlichen Hinrichtungen von Homosexuellen in einigen „islamischen“ Ländern). Im Alltag trifft man in der Gruppe der homophoben Muslim_innen entweder auf solche, die Homosexualität theologisch ablehnen und auch praktisch Homosexuelle nicht einmal zu dulden bereit sind. Oder man trifft auf die etwas „gemäßigteren“ traditionell-theologisch orientierten Muslim_innen, die zwar Homosexualität theologisch verurteilen, aber praktisch bereit sind, Homosexualität zu „dulden“, solange diese diskret gelebt wird – stolz verweist diese Fraktion gerne auf diese über Jahrhunderte in muslimischen Gesellschaften praktizierte „tolerante“ Haltung. LGBTI*-Muslim_innen führen jedoch in beiden Haltungsvarianten ein Leben mit massiven Gewissenskonflikten. Dies erleben wir z.B. in vielen Gesprächen mit homo- oder transsexuellen Geflüchteten, mit Schüler_innen im islamischen Religionsunterricht oder mit Frauen und Männern, die eine Scheinehe führen, weil sie unter Druck der Familien stehen. Die Forderung danach, die eigene sexuelle Identität nicht oder nur diskret zu leben, ist naiv bzw. führt wiederum zu neuen Konflikten, die in Selbsthass münden können. LGBTI*-Muslim_innen nur zu „dulden“/zu „tolerieren“ geht nicht weit genug, denn sie brauchen, verdienen und sehnen sich nach mehr.
Herr Murtaza schreibt in seinem Beitrag: „Wer homosexuell und Muslim ist, dem bieten sich nur drei Strategien an, damit umzugehen: 1) den Islam verlassen, 2) Religion und Sexualität voneinander zu trennen, in dem Wissen, dass seine sexuelle Identität von der Religion und seinen Glaubensgeschwistern nicht gebilligt wird, oder 3) im Stillen unter seiner Homosexualität zu leiden.“ Aus dem Umstand, dass die Menschenwürde auch für muslimische Homosexuelle gelte, zieht er den praktischen Schluss, dass dies jedenfalls bedeute, dass niemand das Recht habe, zu Hetze und Mord aufzurufen. Am Ende wirft er die Frage auf: „Doch was antworte ich meinem Freund, der den Islam vermisst?“

Die vierte Strategie: Selbstbewusst homosexuell und religiös zugleich

Die Antwort lautet: Es gibt zum Glück auch eine vierte Strategie neben den von ihm aufgezählten dreien. Die Lösung kann nicht lediglich eine „Duldung“ in dem Sinne sein, dass homosexuelle Muslim_innen ihre Homosexualität diskret ausüben sollen, was auf Strategie 3) hinausliefe. Dass in muslimischen Gesellschaften über Jahrhunderte Homosexualität nur geduldet wurde, wenn öffentlich über die eigene Homosexualität nicht gesprochen wurde, eine Art „don‘t ask, don‘t tell“-Strategie, kann kein Modell für uns heute sein, wenn wir die Menschenwürde ernst nehmen wollen. Die Lösung kann nicht lediglich Duldung im Sinne von Toleranz sein, sondern muss vielmehr vollwertige Akzeptanz des Wesens von Homosexuellen sein, was nicht bloß diskretes Homosexuellseindürfen, sondern auch offenes Homosexuellseindürfen bedeutet, also: die eigene Homosexualität bewusst offen zu leben. Denn die Menschenwürde von muslimischen Homosexuellen zu achten bedeutet nicht bloß, dass „niemand das Recht hat, zu Hetze und Mord aufzurufen“ gegen homosexuelle Muslim_innen – das ist eine Selbstverständlichkeit –, oder dass deren Homosexualität bloß geduldet wird. Die Achtung der Würde des Menschen, die das oberste Prinzip unserer Verfassung ist (Artikel 1 Grundgesetz), bedeutet vielmehr, dass der Mensch in seiner Subjektqualität anerkannt wird, und nicht bloß zu einem Objekt unserer eigenen Wünsche/Erwartungen, die wir in ihn hineinprojizieren, degradiert wird und falls er diesen Wünschen/Erwartungen nicht genügt, lediglich geduldet/toleriert wird. Seine Subjektqualität wahrhaftig zu verwirklichen, bedeutet auch, dass die sexuelle Identität und die Religiosität bewusst offen gelebt wird. Nur eine freie Entfaltung der eigenen Subjektqualität kann zu seelischer Gesundheit führen.

Die „wahre Natur der Menschen“ und die Menschenwürde aus islamischer Sicht

Werden wir noch konkreter: Was genau macht diese Subjektqualität, die Merkmal der Menschenwürde ist, aus islamischer Perspektive aus? Ist doch im Koran von der Menschenwürde die Rede, die dem Menschen verliehen wurde: „Nun haben Wir fürwahr den Kindern Adams Würde verliehen (…) und sie weit über das meiste unserer Schöpfung begünstigt.“ (Koran, 17:70) Zugleich hört man von traditionell-theologisch orientierten Muslim_innen oft: „Homosexualität widerspricht der Natur des Menschen!“ Doch was genau ist die „wahre Natur“ des Menschen, die die Menschenwürde begründet, aus islamischer Sicht? Da wir das Bewusstsein solcher Muslim_innen und insbesondere auch der muslimischen Jugend für die Menschenwürde schärfen wollen, müssen wir diesen für unser Thema sehr relevanten Punkt näher herausarbeiten.

Dass laut dem Koran „Gottes Plan für die Schöpfung“ („the divine project“, wie etwa Tariq Ramadan sagt), die Vereinigung von Mann und Frau sei und dass Homosexualität deshalb der „Natur des Menschen“ widerspreche, weshalb Homosexualität von einigen Muslimen – aber auch von manchen Anhängern anderer Religionen – zur Sünde deklariert wird, finden wir gerade als religiöse Menschen befremdlich.

Dass ausgerechnet religiöse (!) Menschen damit argumentieren, dass Homosexualität der „Natur“ des Menschen widerspreche, ist inkonsequent. Es sind doch gerade die Religionen, die lehren, dass die eigentlich wahre Natur des Menschen nicht sein Körper, nicht dieses vergängliche materielle Wesen namens Homo sapiens ist, sondern dass er ein geistiges/spirituelles Wesen ist, gemacht aus dem Odem (15:29), aus der Liebe Gottes, das sich nur dieses materiellen Körpers als Vehikel bedient, um in der materiellen Welt Liebe zu manifestieren. Deshalb sollten eigentlich ausgerechnet religiöse Menschen nicht argumentieren, dass Gottes Plan für die Schöpfung die Vereinigung von Mann und Frau sei und dass folglich die Natur des Menschen es sei, sich fortzupflanzen, und so den Menschen dann doch auf das materielle Wesen Homo sapiens reduzieren. (Interessanterweise lehnen nicht wenige der so argumentierenden Menschen die Evolutionstheorie dann aber wiederum ab.)

Gott mag Vielfalt

Wer mit offenen Augen durch die Welt läuft, erkennt, dass der Schöpfer Pluralität mag: Pluralität an Farben, Tieren, Pflanzen, Geschlechtern usw. Warum sollte der Schöpfer dann nicht auch Pluralität in der Liebe geplant haben? Der folgende koranische Vers gibt einen Hinweis auf Gottes Liebe für Pluralität: „Und zu Seinen Zeichen gehört die Erschaffung der Himmel und der Erde und die Verschiedenheit eurer Sprachen und Farben. Darin sind wahrlich Zeichen für die Wissenden.“ (30:22) Im Vers unmittelbar (!) davor heißt es: „Zu Seinen Zeichen gehört, dass Er für euch Partner aus euch selber geschaffen hat, damit ihr bei ihnen Ruhe findet, und Er hat zwischen euch Liebe und Barmherzigkeit bewirkt. Darin sind fürwahr Zeichen für Leute, die nachdenken.“ (30:21) Der Koran spricht im arabischen Originaltext explizit nicht von „Mann und Frau“, sondern verwendet das Wort azwadj (Singular zaudj), welches „Paare“/„Teile eines Paares“/„Partner_innen“/„Gatt_innen“ bedeutet. Der Vers ist so formuliert, dass die gemeinten Personen sowohl männlich als auch weiblich sein können. Ebenso weist der Vers darauf hin, dass der wesentliche Sinn und Zweck von Partner_innenschaft im Islam Liebe und Barmherzigkeit ist.

Gottes primärer Plan für die Menschen ist laut dem Koran nicht, dass sie sich fortpflanzen, sondern, dass sie an ihrer spirituellen Läuterung arbeiten (91:7-10), indem sie sich durch die Anstrengung mit sich selbst (dschihad an-nafs) von den Einflüssen ihres zu Bösem antreibenden „niederen Egos“ (an-nafs al-ammarah, 12:53) befreien, sich mithin letztlich nicht mehr diesem hingeben, sondern Gott, was ja schließlich die Bedeutung von „Islam“ ist. Und wenn sie sich gänzlich Gott hingegeben haben, frei von den ablenkenden Einflüssen des niederen Egos, können sie ihrer Bestimmung, Statthalter Gottes auf Erden zu sein (2:30), wahrhaftig folgen, indem sie Gottes Willen, Liebe und Barmherzigkeit in dieser unvollkommenen materiellen Welt (dunya) zu manifestieren, verwirklichen und schließlich als „beruhigte Seelen“ (an-nafs al-muṭma᾿innah) zur Schöpfungsquelle/Gott zurückkehren (89:27-30). Die Menschen werden im Koran also ständig zur spirituellen/geistigen Läuterung aufgefordert – dies ist das Leitmotiv des Korans und nicht etwa Fortpflanzung („Vereinigung von Mann und Frau“).

 „Reichtum und Kinder sind Schmuck des diesseitigen Lebens. Was bleibenden Wert hat, (nämlich) gute Taten, werden bei deinem Herrn besser belohnt und lassen (bei ihm) eher Gutes erhoffen.“ (18:46)

„Und nicht euer Vermögen und eure Kinder sind es, die euch in ein nahes Verhältnis zu uns bringen. (Es kommt) vielmehr (auf den Glauben und die Werke an). Diejenigen, die glauben und tun, was recht ist, haben (dereinst) für das, was sie getan haben, doppelten Lohn zu erwarten. Sie werden in den Obergemächern (des Paradieses wohnen und) Sicherheit (und Frieden) haben.“ (34:37)

 „Ihr Menschen! Fürchtet euren Herrn und macht euch auf einen Tag gefasst, an dem kein Vater etwas anstelle seines Sohnes und kein Sprössling etwas anstelle seines Vaters übernehmen kann! Das Versprechen (oder: Die Androhung) Gottes ist wahr. Darum lasst euch ja nicht durch das diesseitige Leben betören, und lasst euch ja nicht durch den Betörer (d.h. Satan) hinsichtlich Gottes betören!“ (31:33)

Ziel des Lebens ist spirituelles Wachstum und Liebe − nicht Fortpflanzung

Der Mensch ist also aus koranischer Sicht ein geistiges/spirituelles Wesen, das hier in der diesseitigen materiellen Welt primär zwecks spirituellen Wachstums durch Verwirklichung von Liebe ist – nicht zwecks Fortpflanzung – und das den Odem Gottes in sich trägt (15:29), was seine Menschenwürde begründet, was bedeutet, seine eigene Subjektqualität zu verwirklichen. Seine Subjektqualität verwirklicht man aber nur dann, wenn man seine Identität offen lebt. Dies ist wichtig für die Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft. Erst wenn muslimische Homosexuelle offen zu ihrer sexuellen Identität stehen und gleichzeitig offen beten, als Imame tätig sind, am Fasten und an der Pilgerfahrt teilnehmen, im Vorstand islamische Religionsgemeinschaften leiten, seelsorgerisch tätig sind usw., wird sich allmählich in den muslimischen Köpfen ein Bild entwickeln derart, dass Homosexuell-Sein und Muslim_in-Sein unproblematisch zusammengehen können, so dass homosexuelle Muslim_innen langfristig vollwertig akzeptiert werden werden. Homosexuellen muslimischen Jugendlichen sollte im islamischen Religionsunterricht und in den Moscheegemeinden vermittelt werden, dass an ihnen aus koranischer Sicht nichts abnormal ist, und sie sollten dazu ermuntert werden, ihre Religiosität und sexuelle Identität selbstbewusst offen zu leben. Allgemein gilt für die islamische Religionspädagogik, dass muslimische Kinder und Jugendliche frühzeitig zu religiöser Mündigkeit erzogen werden sollten, was nicht nur bedeutet, exegetische Positionen, die ja Produkte menschlichen Wirkens sind, eigenständig und kritisch hinterfragen zu können, sondern auch, eine akzeptierende Haltung im alltäglichen zwischenmenschlichen Umgang zu entwickeln, die auf dem Bewusstsein beruht, dass nicht bloß das Grundgesetz, sondern auch der Koran (!) die Achtung der Menschenwürde und mithin die Achtung der oben beschriebenen freien Entfaltung der Subjektqualität des Anderen einfordert. Dies setzt voraus, dass man die im Koran erwähnte tieferliegende, eigentlich wahre Natur des Menschen sowie Gottes Willen für Vielfalt – und nicht Einfalt – in der Schöpfung erkennt. Dies kann ihnen von Religionspädagog_innen des Weiteren z.B. anhand der zentralen Schöpfungsgeschichte beigebracht werden. So fordert Gott die Engel auf, sich vor Adam niederzuwerfen, den er kurz zuvor erschaffen und von seinem Geist eingehaucht hat. Die Engel sollen bezeugen, dass sie die Würde des Menschen achten. Iblis tut dies nicht und wird zum Teufel (38:71 ff.). Eine religiöse Erziehung, die Kinder nur zu einem Tolerieren/Dulden und nicht zu vollwertiger Akzeptanz von anderen sexuellen Identitäten erzieht, gilt es zu vermeiden. Sie bildet ein Fundament für die Abwertung des „Anderen“, da das „Andere“ dann im Bewusstsein immer noch als abnormal/sündhaft gilt. Ziel der Kinder- und Jugendarbeit ist es aber gerade, junge Menschen zu gesellschaftlicher Mitverantwortung hinzuführen, was in einer freiheitlichen und pluralistischen Gesellschaft nur auf Grundlage von vollwertiger Akzeptanz der Würde des „Anderen“ möglich ist.

Vollwertige Akzeptanz ist nicht bloß im allgemeinen zwischenmenschlichen Umgang unter Muslim_innen erforderlich, sondern drückt sich nach unserem Dafürhalten insbesondere durch die praktische Integration von LGBTI*-Muslim_innen in den muslimischen Gemeinden aus.

Wenn Herr Murtaza behauptet: „Wo hat ein geouteter muslimischer Homosexueller einen Platz in unserer Gemeinde? Er hat keinen“, so ist das nicht richtig. Der Liberal-Islamische Bund setzt sich bekanntermaßen seit jeher nicht nur für eine alternative, da auf Grundlage der islamischen Primärquellen unseres Erachtens überzeugendere, Lesart der relevanten koranischen Passagen aus und wirkt zu diesem Thema in der muslimischen Community aufklärend. Er ist auch eine islamische Religionsgemeinschaft, an die sich regelmäßig LGBTI*-Muslim_innen in großer Verzweiflung wenden, die Probleme mit ihrer Religionsausübung haben. Es ist für uns inzwischen schon zu einer Standarderfahrung geworden, dass muslimische LGBTI*s berichten, dass sie zunächst in traditionell-theologisch orientierten islamischen Religionsgemeinden ihre Religion ausübten und, sobald ihre sexuelle Identität herauskam, an ihrer praktischen Religionsausübung gehindert wurden, sprich: in der Gemeinde fortan unerwünscht waren. Im Liberal-Islamischen Bund hingegen haben sie eine islamische Religionsgemeinschaft, in der sie offen zu ihrer sexuellen Identität stehen und gleichzeitig ihre Religion praktisch ausüben können. Auch der homosexuelle Freund von Herr Murtaza, der den Islam vermisst, ist herzlich eingeladen, bei uns den Islam zu praktizieren. So sind etwa inklusive Gebete, in denen LGBTI*-Muslim_innen zusammen mit heterosexuellen Frauen und Männern beten dürfen, bei uns eine Selbstverständlichkeit. Muslimische LGBTI*s dürfen Gebete leiten und nehmen an sonstigen religiösen Aktivitäten/Feiern gleichberechtigt teil. Sie sitzen auch im Vorstand unserer Religionsgemeinschaft – um nur ein paar Aktivitäten exemplarisch zu nennen. Dies ist ein Modell einer von vollwertiger Akzeptanz geprägten praktischen gemeindlichen Integration von LGBTI*-Muslim_innen, das wir uns auch in den anderen islamischen Religionsgemeinschaften wünschen.

Weltweit gibt es immer mehr homo- und transsexuelle Muslim_innen, die sich offen zu ihrer sexuellen Identität bekennen und weder diese, noch ihre Religiosität im Verborgenen leben wollen. Zu nennen wären hier als Einzelpersonen z.B. der südafrikanische Imam Muhsin Hendricks oder der französische Imam Ludovic-Mohamed Zahed und als Organisationen etwa die Muslims for Progressive Values (USA), die Quilliam Foundation (GB) oder die weltweite Alliance of Inclusive Muslims.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass mehrheitlich unter den deutschen Muslim_innen eine liberale Haltung im Verhältnis zu Homosexualität zu verzeichnen ist. Laut der „Sonderauswertung Islam 2015“ des Religionsmonitors der Bertelsmann Stiftung stimmen 60 Prozent der deutschen Muslim_innen, die sich als ziemlich oder sehr religiös bezeichnen, einer Heirat unter homosexuellen Paaren zu, was angesichts der Eindeutigkeit, mit der die traditionelle islamische Theologie Homosexualität ablehnt, ein erstaunlich hoher Wert ist. Im Vergleich zum Religionsmonitor 2013 ist dies sogar eine Zunahme um 12 Prozent, so dass eine positive Entwicklung zu erkennen ist. Es wäre zu wünschen, dass sich eine ähnlich offene Haltung insbesondere in der organisierten muslimischen Landschaft durchsetzt.

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