Vom bad boy zum Vorbild in Sachen Gottes? Islamistische Initiativen werben mit ehemaligen Rappern um junge Muslime
23. August 2011 | Jugendkulturen und Soziale Medien, Radikalisierung und Prävention

Rap und Hiphop gehören für viele Jugendliche dazu. Mit Religion haben die meisten Musiker allerdings wenig zu tun. Deshalb bemühen sich salafistische Prediger in den vergangenen Jahren verstärkt darum, prominente Rapper zu werben und sie von einem vermeintlich „richtigen“ Islam zu überzeugen, wie Götz Nordbruch (ufuq.de) in diesem Artikel berichtet. Von der street credibility der Musiker versprechen sie sich, Jugendliche besser zu erreichen.

„Wer ist Dein Vorbild?“ Unter diesem Titel stand eine Veranstaltung, die Anfang September in der Berliner al-Nur-Moschee angekündigt war. Als Referent hatte die Moscheegemeinde den ehemaligen Rapper Amir Junaid Muhadith eingeladen, der noch vor Kurzem mit ganz anderen Tönen Aufmerksamkeit erregte. In Berlin wurde die Veranstaltung aus organisatorischen Gründen kurzfristig abgesagt. In Hannover stieß Amir Muhadith dagegen einige Tage später bei einer ähnlichen Veranstaltung auf großes Interesse.

Unter dem Künstlernamen Loon hat der in New York geborene Sänger zuvor vor allem als bad boy Karriere gemacht. Seine Alben No friends und Wizard of Harlem, in denen es vor allem um sex und crime geht, stießen auch in Deutschland auf einiges Interesse. Seit seiner Konversion zum Islam im Jahr 2008 findet Amir Muhadith auch in anderen Kreisen Gehör. Unter Vertretern des Salafismus, einer rigiden Lesart des Islam, die sich an der frühislamischen Gemeinde des 7. Jahrhunderts orientiert, findet der ehemalige Sänger Zuspruch. Hier steht Amir Muhadiths neuer Lebenswandel für die Heilsbotschaft des Islam, die den Sänger auf den rechten Weg geführt hat.

Tatsächlich bieten die strikten Lehren, wie sie von salafistischen Predigern verfochten werden, Halt und Orientierung. Mit ihren einfachen Botschaften und eindeutigen Vorgaben werben diese Prediger gerade um Jugendliche. Der Koran und die Erzählungen aus dem Leben der Salaf, der »Vorfahren«, gelten ihnen wortwörtlich. Für Interpretationen und Fragen nach dem Sinn bestimmter Aussprüche, die vom Propheten Muhammad getätigt wurden, ist dabei kein Platz. Religion ist für sie weniger Spiritualität und die Suche nach einem eigenen Weg im Leben als die Unterwerfung unter Regeln und Gebote.

Für Jugendliche ist diese Lehre attraktiv – und vielen muslimischen Schülern sind die Namen von Predigern wie Pierre Vogel oder Ibrahim Abou Nagie ein Begriff. Was nicht heißt, dass sie deren Verständnis des Islam teilen. Für die meisten Muslime stehen salafistische Prediger für übertrieben strenge Auslegungen der islamischen Quellen. Auch die provokative und oft aggressive Art, mit der Salafisten vielfach gegen »Ungläubige« hetzen und sich gegen die Gesellschaft stellen, stößt auf scharfe Kritik. Dennoch haben salafistische Initiativen, die in Berlin, Bremen oder Mönchengladbach entstanden sind, in den vergangenen Jahren deutlich an Anhängern gewonnen. Dabei spielen vor allem die Angebote im Internet eine Rolle. Diverse Websites und hunderte Videos, die auf Youtube oder als DVD veröffentlicht werden, versprechen Antworten auf Fragen, die junge Muslime beschäftigen. Anders als die Imame vieler Moscheen, die von etablierten islamischen Verbänden unterhalten werden, wenden sich diese Prediger in deutscher Sprache an ihre Zuhörer. Und sie beschäftigen sich mit Fragen, die im Alltag von Jugendlichen in Deutschland eine Rolle spielen. Zum Beispiel, ob es erlaubt ist, ins Freibad zu gehen, oder ob es einer muslimischen Frau gestattet ist, im Internet mit Männern zu chatten. Unter jungen Muslimen konkurrieren salafistische Initiativen dabei erfolgreich mit den etablierten Verbänden um die Deutungshoheit in Fragen des Glaubens und der religiösen Praktiken.

Vorbild Muhadith

Bei Jugendlichen genießen Personen wie Amir Muhadith besondere Glaubwürdigkeit. Seine Vergangenheit macht ihn zu einem Vorbild, dessen Beispiel es zu folgen lohnt. Auch deshalb setzen salafistische Initiativen auf die Wirkung, die von dem ehemaligen Rapper ausgeht. Bereits seit Ende letzten Jahres macht ein anderer Musiker in dieser Szene von sich reden. In zahlreichen Videos und Vorträgen beschreibt der ehemalige Berliner Gangsta-Rapper Deso Dogg seinen Weg vom Ghetto-Krieger zum gottesfürchtigen Muslim. Abou Maleeq, wie sich der Ex-Rapper mittlerweile nennt, geht dabei deutlich weiter als Amir Muhadith. Während sich Amir Muhadith kritisch, aber nicht feindselig gegenüber seiner Umwelt zeigt, geht Abou Maleeq einen Schritt weiter. In Vorträgen und religiösen Gesängen hat er in den vergangenen Monaten auch zum Djihad und Märtyrertum aufgerufen. Während sich viele Salafisten von Gewalttaten distanzieren, ist Abou Maleeq in einem Spektrum angelangt, die kaum verhüllt für den Krieg gegen Ungläubige werben.

Trotz seiner Erfahrungen mit Kriminalität und Drogen ist Abou Maleeq ein gern gesehener Gast in salafistischen Kreisen. Seine street credibility macht ihn als Botschafter des Islam bei Jugendlichen besonders attraktiv. So warnt Abou Maleeq in Vorträgen und Interviews eindringlich vor den Gefahren, die mit einem sündigen Leben mit Musik und jugendlichem Alltag verbunden sind. Musik, da ist sich Abou Maleeq sicher, ist des Teufels und führt die Menschen auf den falschen Weg. Seine eigene Vergangenheit als Gangsta-Rapper erscheint hier im Rückblick als Vorhof zur Hölle, sein neues Leben als Befreiung vom Laster und als Neuanfang auf dem Weg Gottes.

Es sind dennoch gerade die Ähnlichkeiten, die das Denken des jungen Familienvaters vor und nach seinem vermeintlichen Neuanfang prägen. Als Gangsta-Rapper sah sich Deso Dogg in einem existentiellen Kampf mit einer »schwulen Welt«, der er sich feindlich gegenüber sah. Ganz ähnlich klingen die Beschreibungen, die Abou Maleeq heute über die Welt der Ungläubigen von sich gibt. Auch in der heutigen Welt der »Djahiliyya«, der Unwissenheit und Ignoranz, stehen sich aus seiner Sicht Gut und Böse, Moral und Unmoral unversöhnlich gegenüber.

Schwarz-Weiß-Denken

Begegnungen mit Unrecht und Diskriminierung sind für Abou Maleeq wichtige Themen. Dieses Interesse teilt er mit anderen jungen Muslimen, die in Schule, Ausbildung und Alltag mit Ressentiments und Anfeindungen konfrontiert sind – wobei die meisten nach Alternativen zum Schwarz-Weiß-Denken suchen, von dem sowohl der Gangsta-Rap als auch das salafitische Weltbild geprägt ist. In den vergangenen Jahren haben sich Sänger wie Sami Yusuf aus Großbritannien oder Maher Zain aus Schweden mit ihren religiösen Botschaften auch unter deutschen Muslimen einen Namen gemacht. Nicht weniger Aufmerksamkeit erreicht der in Äthiopien geborene Sänger Ammar114 mit seinen deutschsprachigen Liedern. Der Frankfurter Sänger beschreibt sich selbst als gläubigen Muslim, der sich am Beispiel des Propheten orientiert. Dennoch betonen seine Lieder die Zugehörigkeit zur Gesellschaft. »Ich bin einer von vielen, die sich hier zuhause fühlen, die hier zu Haus sind, wie ein blondes Kind«, heißt es in seinem Lied Wir sind Deutschland. »Wir fahren deutsche Autos, gehen auf deutsche Straßen, schauen deutsches Fernsehen. (…) Es wird Zeit, dass wir endlich volle Rechte bekommen. Es wird Zeit, dass ihr das versteht, uns als Bürger und nicht mehr als Gäste seht.«

Auch hier steht die Auseinandersetzung mit Erfahrungen von Diskriminierungen und Ablehnung im Mittelpunkt, ohne dass dies in eine Kampfansage an die Gesellschaft umgemünzt würde. So wirbt Ammar114 für äußert konservative Werte und Glaubensregeln und bestärkt seine Zuhörer in der Vorstellung, sie seien in erster Linie Opfer der Verhältnisse – dennoch betont er die Zugehörigkeit der Muslime zur Gesellschaft und den Wunsch, sich als Bürger in die Gesellschaft einzubringen. Während salafistische Prediger auf Mission setzen und andere vom »wahren Glauben« überzeugen wollen, lassen sich die Botschaften von Sami Yusuf und Ammar114 auch als Forderungen nach Gleichberechtigung verstehen. Trotz ihrer bisweilen sehr traditionellen Ansichten über Religion und Glauben bieten sie daher Ansätze für einen konstruktiven Umgang mit Erfahrungen von Ausgrenzungen und Ressentiment. Im Unterschied zu salafistischen Predigern, die eine Abgrenzung von Nicht-Muslimen beschwören, bieten sie damit jungen Muslimen eine mögliche Alternative, sich als Muslim in der Gesellschaft zu verorten.

(erschienen in der blz 11/2011)

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