Das Selbst stärken: Zum Potenzial der Self-Affirmation in der pädagogischen Präventionsarbeit
29. März 2023 | Demokratie und Partizipation, Radikalisierung und Prävention

Symbolbild; Bild: Mads Eneqvist/unsplash

Die Welt kann (nicht nur für Jugendliche) manchmal bedrohlich wirken. Die Wahrnehmung von struktureller Benachteiligung und unfairer Behandlung sowie alltägliche Belastungen können die Anfälligkeit für extremistische Narrative erhöhen. Auch pädagogische Inhalte und Botschaften können so wahrgenommen werden, als würden sie das eigene Selbstbild bedrohen. Eine sachliche Auseinandersetzung mit Argumenten und die Bereitschaft, auch andere Perspektiven zuzulassen, können hierdurch erschwert werden. Die aus der sozialpsychologischen Forschung stammende Theorie der „Self-Affirmation“ eröffnet Möglichkeiten, das Bedürfnis nach negativen Bewältigungsstrategien zu verringern und die Wirksamkeit pädagogischer Inhalte nachhaltiger zu machen. Im Zentrum dieses Ansatzes steht eine Stärkung des Selbst durch die Bewusstmachung persönlich wichtiger Dinge. Tim Müller schildert, wie sich Self-Affirmation in der pädagogischen Präventionsarbeit einsetzen lässt. [1]

Das Schlagwort der Resilienz findet immer mehr Anklang in der Radikalisierungsprävention (Bender et al., 2018, ufuq.de, 2020). Dabei beschreibt Resilienz die Widerstandskraft von Menschen gegenüber Einflüssen, die eine Radikalisierung wahrscheinlicher machen können (vgl. Feddes et al., 2020). Mit diesem Fokus auf Ressourcen, Schutzfaktoren und Entwicklungspotenziale unterscheiden sich resilienzfördernde Ansätze grundsätzlich von Ansätzen, die vor allem Risikofaktoren der Radikalisierung in den Blick nehmen. [2] Dadurch ergeben sich zugleich verschiedene Anknüpfungspunkte zur phänomenübergreifenden Präventionsarbeit (Freiheit et al., 2021). [3]

Im Forschungsprojekt „Determinanten radikalisierungsbezogener Resilienz im Jugendalter“ [4] haben wir auf Basis der sozialpsychologischen Self-Affirmation-Theorie (Steele, 1988; Cohen und Sherman, 2014) ein Werkzeug entwickelt, das sich ergänzend zu bestehenden pädagogischen Methoden der Präventionsarbeit einsetzen lässt. Ein wichtiges Grundprinzip ist dabei die Stärkung des Selbst durch die Bewusstmachung persönlich wichtiger Dinge. Es geht also um die Nutzung der Ressourcen, die jeder*jedem selbst zur Verfügung stehen, und die insbesondere bei Belastungen manchmal aus dem Blick geraten können. In Kombination mit demokratiepädagogischen Inhalten kann Self-Affirmation genutzt werden, um nachhaltigere Effekte zu erzielen. Sie ist kein Allheilmittel, kann aber dazu beitragen, positive Entwicklungen anzustoßen, die von weiteren strukturellen Maßnahmen flankiert werden sollten.

Extremistische Narrative als negative Bewältigungsstrategien

Unterschiedliche Theorien in der Radikalisierungsforschung legen dar, wie Benachteiligung und Deprivation, das Gefühl von Unsicherheit und andere Belastungen die Offenheit gegenüber extremistischen Ideologien erhöhen können (Moghaddam, 2005; Agnew, 2010; Hogg und Adelman, 2013). Ein Teil der Anziehungskraft dieser Ideologien lässt sich dadurch erklären, dass sie als Form von „negativer Bewältigung“ (Sherman und Cohen, 2006) genutzt werden, z. B. indem Menschen sie zur eigenen (Wieder-)Aufwertung heranziehen (vgl. auch Anhut und Heitmeyer, 2009). [5] Die Verringerung von struktureller Benachteiligung und die Erhöhung von Teilhabe sind deswegen wichtige Ziele der Radikalisierungsprävention. Trotzdem kommen neben strukturellen Benachteiligungen auch andere Ursachen in Frage, die als „psychologische Bedrohungen“ (Cohen und Sherman, 2014) wahrgenommen werden und zu negativen Konsequenzen führen können, z. B. dann, wenn das eigene Selbstbild angegriffen wird.

In einer experimentellen Studie konnten Fein und Spencer (1997) zeigen, dass Versuchspersonen, denen suggeriert wurde, dass sie in einem Intelligenztest schlecht abgeschnitten hatten, eher dazu neigten, andere Personen anhand von Stereotypen abzuwerten und so ihr Selbstwertgefühl wiederherzustellen. Wenn die Versuchspersonen jedoch vorher aufgefordert worden waren, einen kurzen Aufsatz über wichtige persönliche Werte zu schreiben, werteten sie andere Personen nicht ab. Eine weitere Studie in den USA zeigte, dass Personen, die stark der Demokratischen oder der Republikanischen Partei zuneigten und hieraus einen Teil ihres Selbstwertes bezogen, sich sachlichen Argumenten gegenüber verschlossen zeigten (Binning et al., 2010). Wenn sie sich vorher jedoch persönlich wichtige Dinge in ihrem Leben bewusst gemacht hatten, waren sie bereit, Sachargumente in ihre Überlegungen miteinzubeziehen. Auch in Konflikten zwischen Gruppen kann die Identifikation mit der Eigengruppe dazu führen, dass beispielsweise das Fehlverhalten der eigenen Gruppe nicht anerkannt wird und man nicht bereit ist, zu einer Konfliktlösung beizutragen, auch wenn Belege für das Fehlverhalten gegeben werden (Čehajić-Clancy et al., 2011). Menschen neigen dann eher zu einem Abwehrverhalten, durch das sie bestimmte Informationen und Perspektiven nicht an sich heranlassen. Auch hier führte die Bewusstmachung persönlich wichtiger Dinge dazu, dass die Befragten eher bereit waren, das Fehlverhalten ihrer eigenen Gruppe anzuerkennen.

Beide Mechanismen – Abwertung anderer als negative Bewältigungsstrategie und Abwehrhaltung gegenüber Informationen und Argumenten, die das eigene Selbstbild in Frage stellen  – sind auch im Kontext der Radikalisierungsprävention von Bedeutung. So geht es hier beispielsweise häufig um die Arbeit mit Menschen, die selbst von Stigmatisierung und Ausgrenzung betroffen sind und denen daher einfache Weltbilder, die die Abwertung anderer beinhalten, als negative Bewältigungsstrategie attraktiv erscheinen können. Wie lässt sich vor diesem Hintergrund also die Gesprächsbereitschaft und die Bereitschaft zu einer Perspektivübernahme erhöhen, wenn die mögliche Konfrontation mit eigenen Vorurteilen zu Abwehrverhalten führt und eventuell schon eine Zustimmung zu Ungleichwertigkeitsideologien zu beobachten ist? Eine mögliche Antwort darauf lässt sich aus der Self-Affirmation-Theorie ableiten.

Was ist Self-Affirmation?

Der Self-Affirmation-Theorie liegt die Annahme zu Grunde, dass Menschen ihre Selbstintegrität – ihr Selbstbild als gut, moralisch handelnd und wirksam in Bezug auf die eigenen Handlungen – bewahren wollen (Sherman & Cohen, 2006). Wie sich an den oben geschilderten Beispielen erkennen lässt, gibt es viele Szenarios, in denen Menschen ihre Selbstintegrität als bedroht wahrnehmen können und beispielsweise mit der Rationalisierung negativer Verhaltensweisen, Vermeidungsverhalten oder der Abwertung von anderen reagieren. Die Self-Affirmation-Theorie wird in unterschiedlichen Bereichen genutzt, u. a. in Bezug auf Gesundheitsverhalten (Cohen & Sherman, 2014), Schulleistungen (Sherman et al., 2021; Lokhande & Müller, 2019; Müller & Lokhande, 2017) sowie zur Verringerung von Stress (Creswell et al., 2005) und höherer Resilienz gegenüber negativen Erfahrungen (Sherman et al., 2013; Cohen & Sherman, 2014). In der Radikalisierungsprävention wird sie bisher allerdings nicht genutzt.

Dabei gehört Self-Affirmation zu einer Anzahl kurzer Interventionen (manchmal auch „wise interventions“ genannt, Yeager & Walton, 2011; Lokhande & Grießig, 2021), die mit kleinen Änderungen in der Umgebung von Menschen oder ihrer Selbstwahrnehmung arbeiten, um weitergehende Veränderungsprozesse anzustoßen. So erscheinen die Maßnahmen, die zur Anwendung kommen (z. B. veränderte Ansprache, Bewusstmachung bestimmter Informationen), zunächst als unspezifisch und punktuell. Das Prinzip dieser Interventionen beruht darauf, dass sie für die Adressat*innen eine grundlegend andere Interpretation einer bestimmten Situation oder Botschaft herbeiführt, die positive Veränderungen erst ermöglicht. Laut Yeager & Walton (2011) sind diese Arten von Interventionen wirksam, weil Adressat*innen dabei nicht als „einer Intervention bedürftig“ gesehen und angesprochen werden. Die Interventionen erfolgen vielmehr weitgehend unbemerkt oder „nebenbei“, zudem sind die Adressat*innen nicht passive Empfänger*innen einer Botschaft, sondern übernehmen selbst eine aktive Rolle. Die zunächst nur kleinen Veränderungen von Einstellungen und Verhalten sollen schließlich durch Interaktionen mit dem Umfeld der Adressat*innen über die Zeit verstärkt werden, wofür allerdings auch die Rahmenbedingungen gegeben sein müssen (sog. „recursive cyle“, siehe auch Walton & Wilson, 2018).

Self-Affirmation-Interventionen folgen dabei einem recht einfachen Muster: Menschen werden gebeten, darüber nachzudenken, was ihnen im Leben wichtig ist. Aus einer Reihe von Dingen sollen sie zum Beispiel zwei Sachen auswählen und an Situationen denken, in denen diese Dinge eine wichtige Rolle gespielt haben und dann in einem kurzen Aufsatz beschreiben, warum diese Dinge wichtig waren (Cohen und Sherman, 2014). Dabei kann es um soziale Beziehungen oder um Hobbies gehen, darum, zu einem Team zu gehören, den persönlichen Glauben oder vieles mehr. Wichtig ist allerdings, dass es sich um Dinge im Leben handelt, die selbst nicht als bedroht wahrgenommen werden und derer sich die Person sicher ist. Die genannten Dinge oder Werte müssen außerdem intrinsisch, also aus sich heraus für die Menschen wichtig sein. [6]

Dabei gehen wir von zwei unterschiedlichen Wirkungsweisen von Self-Affirmation aus. Zum einen einer stressreduzierenden Wirkung: Durch die Bewusstmachung von persönlichen Werten und eigenen Ressourcen werden Bedrohungen im Gesamtbild kleiner und sind einfacher zu bewältigen (Sherman et al., 2013). Verletzungen des Selbstwertes müssen somit nicht über externe Quellen der Selbstwerterhöhung (z. B. Aggression/Abwertung anderer) ausgeglichen werden (Fein & Spencer, 1997; Thomaes et al., 2009). Die zweite Wirkungsweise sehen wir darin, dass Self-Affirmation unterschiedliche Facetten der eigenen Identität bewusst macht und einem Rückzug auf einzelne Identitätsfacetten entgegenwirkt. Die Infragestellung oder gar eine Bedrohung, die sich auf eine Facette meiner Identität bezieht, erscheint danach weniger grundlegend und existenziell (Binning et al., 2010; Correll et al., 2010).

Ergebnisse eines Online-Experiments

Um diese Hypothesen empirisch zu überprüfen, führten wir ein Online-Experiment mit einer deutschlandweiten Stichprobe von etwa 700 Teilnehmenden im Alter von 16-25 Jahren durch. [7] Wir überprüften sowohl die Effekte auf rechtsextreme als auch auf islamistische Einstellungen. [8]

Gemeinsam mit ufuq.de entwickelten wir ein kurzes demokratiepädagogisches Video, das wesentliche und bewährte Elemente politischer Bildungsarbeit (Wissensaufbau über Diskriminierung, Erhöhung der Empathie und Perspektivenübernahme, Erhöhung der Zivilcourage, konkrete Handlungsanregungen) beinhaltet. Das knapp 6-minütige Video klärt über Diskriminierung auf und stellt unterschiedliche Formen der Diskriminierung, die in beiden extremistischen Phänomenbereichen eine Rolle spielen (Homofeindlichkeit, Antisemitismus, Sexismus, Rassismus), aus Sicht von jeweils Betroffenen dar und vermittelt Handlungsmöglichkeiten, um gegen Diskriminierungen vorzugehen. Dabei gingen wir davon aus, dass das Video selbst bereits präventive Wirkungen gegenüber extremistischen Einstellungen auslösen würde.

Download des Videos „Wie funktioniert Diskriminerung?“

Video „Wie funktioniert Diskriminerung?“

In zwei Versuchsbedingungen kombinierten wir das Video mit einer Form der oben beschriebenen Self-Affirmation-Intervention. [9] Wir erwarteten, dass es durch Self-Affirmation zu einer verbesserten Aufnahme und nachhaltigeren Wirkung der pädagogischen Inhalte kommen würde, insbesondere bei Befragten, die im Fragebogen bereits von erhöhten Alltagsbelastungen berichtet hatten. Wir werteten die Effekte der Interventionen deswegen zum einen direkt nach der Durchführung aus und betrachteten zum anderen, wie sich die Einstellungen der Befragten nach fünf Wochen verändert hatten.

Unmittelbar nach der jeweiligen Intervention zeigte sich, dass das demokratiepädagogische Video sowohl allein als auch in Kombination mit einer Form von Self-Affirmation sowohl rechtsextreme als auch islamistische Einstellungen im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant verringerte. Die demokratiepädagogischen Inhalte auf Basis bewährter Präventionsmethoden zeigten also kurzfristig durchaus eine Wirkung. In Kombination mit Self-Affirmation waren die Effekte bereits direkt nach der Intervention ein wenig stärker ausgeprägt, fünf Wochen später waren diese zusätzlichen Wirkungen der Self-Affirmation noch deutlich stärker sichtbar. [10] In der Gruppe, die nur das Video geschaut hatte, glichen sich die Einstellungswerte weitestgehend wieder dem Niveau der Kontrollgruppe an; in den Versuchsgruppen, die jedoch auch eine Self-Affirmation durchgeführt hatten, blieben die extremistischen Einstellungen auf einem niedrigeren Niveau als in der Kontrollgruppe. Die Effekte des demokratiepädagogischen Videos blieben hier länger wirksam.

Durch weitere Analysen konnten wir ebenfalls bestätigen, dass eine Kombination aus Video und Self-Affirmation radikalisierungsfördernde Effekte von Alltagsbelastungen abfedert. Höhere Alltagsbelastungen [11] führten in der Kontrollgruppe ohne jegliche Intervention dazu, dass extremistischen Einstellungen stärker zugestimmt wurde. Wenn gleichzeitig eine der Interventionen angewendet worden war, wirkte sich die Belastung dagegen nicht auf die Einstellungen aus. Nach fünf Wochen konnte dasselbe Muster wie oben beobachtet werden: Die Effekte des Videos allein nahmen ab, die Effekte der Kombination aus Self-Affirmation und Video blieben bestehen. Der erwartete „Puffereffekt“ konnte also nachgewiesen werden. [12] Eine Einschränkung ist dabei allerdings zu beobachten: Im Falle von islamistischen Einstellungen ließ sich eine insgesamt größere Reduktion feststellen als im Falle von rechtsextremen Einstellungen.

Fazit

„Das Selbst stärken“, um die Widerstandskraft von Menschen gegenüber Einflüssen, die eine Radikalisierung wahrscheinlicher machen können, zu erhöhen – wie unsere Studienergebnisse zeigen, ist das tatsächlich ein gangbarer Weg. Self-Affirmation kann bewährte (pädagogische) Präventionsmethoden ergänzen, um der Attraktivität von extremistischen Ideologien als negative Bewältigungsstrategien entgegenzuwirken. Dabei handelt es sich nicht um Prävention im engeren Sinne, sondern um die Stärkung von persönlichen Ressourcen und den damit verbundenen positiven Effekten.

Es muss jedoch betont werden, dass es sich bei Self-Affirmation nicht um ein Allheilmittel handelt. Sie kann jedoch dort wirken, wo zunächst einmal eine Aufnahmebereitschaft für pädagogische Inhalte hergestellt oder die Bereitschaft zur Perspektivenübernahme erhöht werden soll. Dabei sollte Self-Affirmation immer auch von strukturellen Veränderungen begleitet werden (Sherman et al., 2021). Durch die kombinierte Intervention aus Video und Self-Affirmation können wir zunächst einmal nur kleine positive Effekte erzielen – etwa, dass Menschen ihre eigenen Vorurteile hinterfragen. Wenn aber das soziale oder schulische Umfeld nicht darauf ausgerichtet sind, diese kleinen Effekte positiv zu verstärken, sind dauerhafte Veränderungen nicht zu erwarten. Strukturelle Benachteiligung muss deswegen wirksam bekämpft werden und Betätigungsmöglichkeiten, die eine Herausbildung unterschiedlicher wertvoller Teilidentitäten ermöglichen (Sport- und Freizeitaktivitäten, Möglichkeiten der politischen Teilhabe usw.), müssen deswegen parallel ausgebaut werden.

Zugleich verweisen unsere Ergebnisse auch auf die Bedeutung einer Ressourcenorientierung als Leitgedanken einer Präventionsarbeit, die auch phänomenübergreifend wirksam ist. Gerade eine Kombination aus diskriminierungssensiblen Formaten und Methoden wie der Self-Affirmation, die persönliche Ressourcen der Jugendlichen stärken, zeigen hier ein großes Potenzial. Gerade weil sie keine spezifische Zielgruppe in den Fokus nehmen, lassen sich Stigmatisierungseffekte vermeiden. Zum Abschluss sei noch angemerkt, dass Self-Affirmation viel mehr als ein Tool ist: Sie sollte insgesamt als Grundhaltung verstanden werden, die allen Jugendlichen vermittelt, dass sie und ihre Perspektiven wichtig sind und es verdienen, eingebracht und angehört zu werden.

Fußnoten

[1] Dieser Beitrag basiert auf der Abschlusspublikation zum Forschungsprojekt „Determinanten radikalisierungsbezogener Resilienz im Jugendalter“ (Müller et al, 2023).

[2] Die Suche nach Risikofaktoren wird als defizitorientiert kritisiert, hat ein hohes Stigmatisierungspotential, erschwert die pädagogisch-präventive Arbeit und birgt die Gefahr einer „Versicherheitlichung“ der Präventionslandschaft (Kiefer, 2021). Zudem ist die Vorhersagekraft von Risikofaktoren der Radikalisierung sehr gering (Bender et al, 2018).

[3] Zum stetig wachsenden Interesse an phänomenübergreifenden Ansätzen siehe MAPEX-Forschungsverbund (2021) sowie KN:IX (2022).

[4] Das Projekt wurde durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ gefördert.

[5] Die hier in Anlehnung an Sherman und Cohen (2006) beschriebenen Abwehrreaktionen („defensive adaptions“) können zwar kurzfristig kompensierend wirken, haben aber langfristig oft schädliche Konsequenzen.

[6] Extrinsische Motive, die auf Belohnung, Bestrafung oder (sozialem) Zwang beruhen, sind nicht geeignet.

[7] Das Experiment war Teil einer größeren Online-Erhebung, bei der auch andere Risiko- und Resilienzfaktoren der Radikalisierung überprüft wurden. Eine Quotenstichprobe sollte die Altersgruppe der Teilnehmenden annährend repräsentativ abbilden. Die Erhebung umfasste insgesamt drei Erhebungszeitpunkte (Pre-Test etwa eine Woche vor der Intervention, Post-Test direkt nach der Intervention, Follow-Up etwa fünf Wochen später). Zum ersten Erhebungszeitpunkt betrug die Zahl der Teilnehmenden 1498 und nahm im Erhebungsverlauf ab.

[8] Rechtsextreme Einstellungen wurden in Anlehnung an die „Mitte-Studien“ (Zick et al., 2019) operationalisiert. Beispielitems: „Wie in der Natur sollte sich in der Gesellschaft immer der Stärkere durchsetzen“ und „Im nationalen Interesse ist unter bestimmten Umständen eine Diktatur die beste Staatsform“. Islamistische Einstellungen wurden in Anlehnung an existierende Studien (Goede et al., 2020; Manzoni et al., 2018) und durch selbstentwickelte Frageitems gemessen. Beispielitems: „Nicht-Muslime sind weniger wert als Muslime“ und „Ein islamischer Staat sollte die demokratischen Staatsformen ablösen“.

[9] In einer Bedingung führten die Teilnehmenden eine kurze schriftliche Self-Affirmation-Übung durch, in der anderen Gruppe wurde die Self-Affirmation als etwa einminütiger Vorspann vor dem Video zum Thema Diskriminierung abgespielt. Die Self-Affirmation wurde auch eigenständig getestet. In dieser Zusammenfassung lege ich jedoch das Augenmerk auf die kombinierten Effekte von Self-Affirmation und Video, weil diese am ehesten von praktischer Relevanz sein sollten.

[10] Self-Affirmation allein, ohne Video, zeigte jedoch direkt nach der Intervention keine Wirkung.

[11] Alltagsbelastungen umfassten Erlebnisse wie „Ich habe mich mit meinem*r Partner*in gestritten“, „Ich war genervt/gestresst“, „Ich habe mich unwohl gefühlt“ (in Anlehnung an Lewinsohn & Amenson, 1978).

[12] Interessanterweise wirkte in diesem Szenario auch die Self-Affirmation allein, ohne demokratiepädagogisches Video.

Literatur

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